Von Süskind bis zur "Wanderhure" Lianne Kolf, die Strippenzieherin des Literaturbetriebs

Lianne Kolf in ihrer Münchner Agentur
Lianne Kolf, Pionierin des Literaturbetriebs, in ihrer Münchner Agentur
© DPA / Picture Alliance
Als sie 1982 ihre Agentur gründete, gab es den Beruf der Literaturvermittler in Deutschland noch nicht. Lianne Kolf war immer ein bisschen schneller als andere.

Was sie an den früheren Zeiten wirklich vermisse, sei dieses vielversprechende Rascheln. "Wenn die Manuskripte der Autoren eintrafen und sich alle ans Lesen machten, hörte man die Literatur förmlich rascheln", sagt Lianne Kolf. Heute komme bloß noch ein "Pling!", das vom Eingang einer E-Mail kündet, das Schmökern bleibt geräuschlos.

Kolf ist eine Legende unter den Literaturagenten, sie war nicht nur die erste Frau in dem Beruf, sie hat ihn quasi erfunden. Das Metier existierte in Deutschland noch nicht wirklich, als Kolf 1982 ihre Verlagsagentur eröffnete. Die Tochter von Siebenbürgern, die unter dramatischen Umständen sowjetischen Gulags entkamen und nach Deutschland fliehen konnten, hatte in München als Buchhändlerin begonnen. Große Literaten saßen damals noch in Cafés und Bars herum. "Ich ging am liebsten in die Gaststätte Leopold, eine der wenigen, die ich mir als Lehrling leisten konnte", erinnert sie sich. Dort habe der große Erich Kästner seinen Stammtisch unterhalten und mit seiner Sekretärin Post erledigt. "Ich nahm mir mein Hasenherz zusammen und sprach ihn an, sagte ihm, dass ich seine Bücher immer ganz vorne ins Schaufenster stellen würde. Er lächelte und bedankte sich höflich."

Lianne Kolf findet Schriftsteller und sorgt für ihren Erfolg

Heute sitzt Kolf in ihrer Agentur in der Münchner Maxvorstadt und gilt als eine "Strippenzieherin des Literaturbetriebs", wie die "Stuttgarter Zeitung" schrieb. Vor allem aber ist sie eine Grande Dame, wie sie im Buche steht. Eine, die Menschen, die sie mag, "mein Schätzchen" nennt, Chanel und Goldschmuck trägt, wenn sie durch ihre Agenturräumlichkeiten flitzt, und dabei sehr elegant sehr viel raucht. Im Wesentlichen ist sie bei ihrer ursprünglichen Aufgabe geblieben: Sie findet Schriftsteller und kümmert sich darum, dass deren Werke im Handel vorn platziert werden. Nur geht es heute um Millionenauflagen.

Lianne Kolf in verschiedenen Lebenssituationen
Aus dem privaten Fotoalbum: Lianne Kolf in verschiedenen Lebensjahren, unter anderem mit Verleger Christian Strasser (Mitte oben), Eltern Martin und Liselotte Kolf (oben und unten rechts), Kolfs Partnerin Isabel Schickinger, Opernagentin Heidi Steinhaus (beide Mitte), Ehemann Christian-Andreas Beyer und Autor Yves Buchheim (Mitte rechts), Guido Maria Kretschmer mit Lebensgefährte Frank Mutters (unten links)
 
© Verlagsagentur Lianne Kolf / DPA

In den Bücherregalen der Agentur drängen sich die von ihr vermittelten Romane und Sachbücher und zeugen von der Bandbreite ihrer Klientel. Dünkel kannte sie nie, als ehemalige Buchhändlerin weiß sie, was sich verkauft. Es muss nicht immer Belletristik sein, auch das launige Buch des Modemachers Guido Maria Kretschmer, im Übrigen einer ihrer prominentesten Freunde, taugt für die Bestsellerlisten. Die Werke des Autorenduos Iny Klocke und Elmar Wohlrath, besser bekannt unter dem Pseudonym Iny Lorentz, füllen eine gesamte Regalwand. Mit ihrer "Wanderhure"-Reihe und Romanen ähnlichen Stils erreichte das Autorenpaar eine Gesamtauflage von über 20 Millionen. Dass ausgerechnet das "Wanderhure"-Epos zu einem so nachhaltigen Millionengeschäft wurde, hängt mit ihrem besonderen Konzept der Crossmedia-Vermarktung zusammen. Kolf selbst nennt es ihre "Abteilung Hollywood", und die hat soeben am Küchentisch der Verlagsagentur Platz genommen.

Den Film beim Schreiben gleich mitdenken

Isabel Schickinger war vor langer Zeit beim pleitegegangenen Konzern Kirch Media für Filmrechte zuständig, seit dem Jahr 2003 verantwortet sie den Bereich in Kolfs Agentur. "Sobald ein literarischer Stoff in die engere Wahl kommt, prüfen wir, ob dieser für eine Verfilmung infrage kommen könnte, und beraten die Autoren, eine filmische Umsetzung im Idealfall beim Schreiben gleich mitzudenken", sagt sie.

Mit der "Wanderhure"-Serie konnte Schickinger zeigen, wie formidabel das funktioniert. Zwischen 2010 und 2012 waren drei Filme entstanden, die als bis dato aufwendigste und teuerste TV-Produktionen des deutschsprachigen Raums galten. Der erste Teil erreichte allein knapp zehn Millionen Zuschauer.

Patrick Süskind wollte sie nicht bezahlen

Kann Kolf auch das Projekt benennen, das am allerwenigstens einbrachte? Da muss sie in sich hineinkichern. "Mein größter Flop war vielleicht das allererste Buch von Patrick Süskind, der ein Freund war und nicht einsah, dass ich dafür ein Honorar bekommen sollte." Die Geschichte ist legendär, denn Süskinds Buch war der berühmte Einakter "Der Kontrabass", den Kolf an den Schweizer Verlag Diogenes vermittelt hatte. Allein in der Spielsaison 1984/85 galt er mit 500 Aufführungen als meistgespieltes Stück deutscher Bühnen. Kolf, die damals nur "Fuschi" gerufen wurde, Süskind und Regiestar Helmut Dietl wohnten im selben Viertel Schwabings und feierten gemeinsam die Nächte durch. "Als ich ein Honorar haben wollte, hieß es bloß: Fuschi, sag doch Bescheid, wennst ein Geld brauchst, dann leih ich dir was!" Zudem habe der spätere Verfasser des Weltbestsellers "Das Parfum" schon damals gern ein Geheimnis aus sich gemacht. "Eine Agentin, die seine Bücher anbietet und zusammen mit ihm die Schulbank drückte, hätte vermutlich an seinem Nimbus gekratzt", sagt Kolf.

Anfangs hieß es: welches Honorar? Wenn du Geld brauchst, leih ich dir was

Die Anekdote, über die Lianne Kolf heute lachen kann, sagt viel über die Zumutungen der Anfangsjahre aus. "Niemand hat mich damals ernst genommen, nicht einmal meine Freunde", sagt sie. Die Verlagsbranche sei übersichtlich gewesen, die Verlegerpersönlichkeiten pflegten innige Freundschaften zu ihren Schriftstellern und hätten sich zuweilen wie Gutsherren aufgeführt. "Agenten galten als Störenfriede und sollten sich darauf beschränken, Stoffe aus dem Ausland zu vermitteln." Honorare seien nach Gutdünken verteilt worden. "Herbert Achternbusch hat einmal gesagt, er könne es sich bloß leisten, für seinen Verleger Herrn Unseld zu schreiben, weil seine Frau verbeamtete Lehrerin sei."

Auch die Buchwelt ist eine Welt im Wandel

Nach ihren Jahren als Buchhändlerin hatte Kolf für Buchverlage gearbeitet, zuletzt für den berühmten Molden Verlag aus Wien. "Als der pleitegegangen war, stand nicht nur ich auf der Straße, sondern auch die erfolgreichen Schriftsteller des Verlagshauses, die alle auf einmal neue Verlage brauchten", erinnert sie sich. Es war ihr Moment. Mit einer ganzen Schar an Autoren, die bereits Erfolge aufweisen konnten, war "Fuschi" im Geschäft und nicht mehr zu übergehen.

Kolf mag in ihren Siebzigern sein, von gestern ist sie nicht. Könne sie sich auch nicht erlauben, sagt sie, schließlich ist der Buchmarkt ein Terrain, das sich immer wieder verändert, eine Welt im Wandel. Nach dem großen New-Adult-Trend komme als Nächstes New-Adult-Horror in die Buchläden. "Wer hätte gedacht, dass sich die jungen Leute noch mal für Zombies interessieren würden?", sagt Kolf und zuckt mit den Schultern.

Aus allem Möglichen kann heute ein Erfolg werden, die richtige Kampagne oder Onlinepräsenz vorausgesetzt. "Kürzlich hab ich eine Reserve-Astronautin im Frühstücksfernsehen gesehen, die wäre was", überlegt Kolf. Und dass ihr Ehemann nun alle Namen der Fußballnationalmannschaft der Frauen kenne, sei ein Hinweis, dass sich über die Sportlerinnen Biografien verkaufen ließen. Nur zu früh dürfe man auch nicht dran sein. "Wir haben ein Buch gemacht, in dem aufgedeckt wurde, dass medizinische Studien vornehmlich an Männern durchgeführt werden und Frauen dadurch benachteiligt sind", erzählt sie. "Heute ein Riesenthema, damals haben wir 800 Exemplare verkauft."

Kolf vermittelte Traudl Junge an Bernd Eichinger

Das heutige Büro der Verlagsagentur in der Münchner Tengstraße ist in einem ehemaligen Reinigungs- und Heißmangelladen untergebracht, die Agenturküche war früher einmal der Wohnbereich der Inhaberin. Jetzt sitzen hier alle möglichen potenziellen Autoren, naschen Kekse, bequatschen Ideen. "Ich erinnere mich, wie Traudl Junge hier oft gesessen hat und sie sehr unsicher war, ob sie das machen soll." Junge war die Privatsekretärin Adolf Hitlers, ihre Lebensgeschichte wurde durch die Verfilmung "Der Untergang" weltberühmt – damals noch von Kolf persönlich an den Produzenten Bernd Eichinger vermittelt. "Doch anfangs waren wir uns alle nicht sicher", sagt Kolf, schließlich sei bekannt gewesen, dass fast alle früheren Mitarbeiter Hitlers ihrem Chef treu ergeben geblieben waren. War das bei Traudl Junge wirklich anders?

Kolf beschloss, eine Autorin hinzuzuziehen, die sich dem historischen Thema bereits von einer ganz anderen Seite angenähert hatte: Melissa Müller, die zuvor mit ihrer Biografie über das weltweit wohl bekannteste Schoah-Opfer Anne Frank international aufgefallen war. "Plötzlich interessierten sich alle für diese Geschichte, André Heller wollte eine Doku drehen, Traudl Junge wusste nicht, wie ihr geschah", so Kolf. Die damals 80-Jährige habe immer gefragt: "Meinen die mich?"

Vor einem der gemütlichen Schwabinger Italiener hat Melissa Müller Platz genommen, besagte Wiener Journalistin und Schriftstellerin und eine der wichtigsten Autorinnen in Kolfs Klientenliste. Die beiden sind zum Lunch verabredet. "Das Buch, das ich Lianne nie geliefert habe, ist vielleicht eines unserer entscheidenden", sagt die 58-Jährige und lacht. Während der Recherche über Hitlers "gottbegnadete" Künstler im Dritten Reich war Müller überhaupt erst auf Traudl Junge gestoßen. "Das Schwierigste war, Frau Junge davon zu überzeugen, dass ihre authentischen Aufzeichnungen, die sie 1947 gemacht hatte, relevant sind", so Müller. Das eigentliche Projekt blieb liegen.

Plötzlich bemerkte sie ihre Lebenslüge

Ein beeindruckender Moment sei es gewesen, als Müller und Junge an der Gedenktafel für die Widerstandskämpferin Sophie Scholl vorbeispazierten. "Sie bemerkte, dass Scholl und sie beinahe gleich alt waren und ihre Ausrede, zu jung gewesen zu sein, um die Verbrechen zu verstehen, eine Lebenslüge war."

Eine gescheite Erzählerin und eine wilde Zeitgenossin

Guido Maria Kretschmer über Lianne Kolf

Das Thema hat Müller nie mehr losgelassen. Sie kehrte erneut zu einer Protagonistin ihres ersten Buchs zurück. Damals hatte sie Nanette Blitz kennengelernt, "eine Schulkameradin von Anne Frank, sie haben einander sogar im Konzentrationslager Bergen-Belsen noch ein paarmal gesehen", so Müller. Blitz hatte die Schoah überlebt und wohnt heute 96-jährig in Brasilien. Das Buch "Mit dir steht die Welt nicht still" erzählt die Geschichte ihrer großen Liebe nach dem Holocaust. "Es ist ein besonderes Buch, weil es das Vermächtnis dieser Generation ist", sagt Kolf.

Plötzlich bleibt ein elegant gekleideter Herr vor dem Restaurant stehen, ein recht bekannter Journalist, er fragt nach Feuer. "Kennen wir uns nicht, Gnädigste?", sagt er zur Agentin. Sie pustet eine Wolke Zigarettenrauch in die Luft. "Ich kenn dich schon, du hattest vor ein paar Jahren einen Vertrag mit uns gemacht, auf das Manuskript warten wir immer noch!" 

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