Wohlig nehme ich den Schmerz zur Kenntnis, der meine Fingerkuppen überzieht. Erinnert er mich doch daran, etwas Gutes geschafft zu haben. Es waren die Stahlsaiten der Gitarre, die sich ins Fleisch meiner ungelenken Finger gedrückt haben. Ich versuche es wieder. Ich nehme Unterricht. Der dritte Versuch.
Das erste Mal mit elf geriet ich an einen etwas exaltierten Vorstadt-Maestro, der nicht ganz darüber hinweggekommen schien, statt in der Royal Albert Hall zu dirigieren, pummeligen Präpubertierenden wie mir in Castrop-Rauxel "Aramsamsam" auf der Gitarre beibringen zu müssen.
Omma brach vor Lachen in Tränen aus
Der Erfolg war überschaubar: Bei meinem ersten Auftritt bei Omma im Wohnzimmer brach diese vor Lachen in Tränen aus, blickte meine Mama an, während ich selbst "Alle meine Entchen" gnadenlos zerzupfte: "Gitte, und dafür zahlst du monatlich 50 Mark?!"
Meine Mutter zahlte so manche D-Mark für nichts und wieder nichts. So wollte sie ihr eigenes Schicksal, ein unsportliches Kind zu sein, von mir abwenden und meldete mich zum Tennisunterricht an. Dummerweise hatte ich damals so viel Talent dazu, Boris Becker zu werden, wie Boris Becker dazu, Jeff Bezos zu werden.
Es war die Zeit, als Tennistrainer windige Gesellen mit "Playboy"-Bunny-Ketten auf dichtem Brusthaar und mit Gebrauchtwagenhändlerfrisur waren. Verschlagener als diese Typen waren nur meine Bälle. Es gehört zu meiner Menschwerdung, dass ich mein Scheitern stets (für mich) amüsant zu kommentieren wusste. In Erinnerung geblieben ist nur der denkwürdige Moment, als mir mein Trainer eine Deutsche Mark dafür anbot, für eine ganze Stunde einfach die Fresse zu halten. Nun, was soll ich sagen. Das Geld war schon in den ersten fünf Minuten verloren.
Mit Unterricht verschiedenster Couleur habe ich selten fruchtbare Erfahrungen gemacht. Als Siebenjähriger wollte ich es meinem fußballerisch sehr erfolgreichen großen Bruder gleichtun und am Fußballtraining teilnehmen. Dummerweise waren die Übungsleiter von damals nicht die empathischen Kreisligakloppos von heute, sondern stumpfe Bratwurstbudendiktatoren in Ballonseide, die "die kleinen Wichser" auch zu Beginn der Stunde erst mal Runden laufen ließen.
Nach rund 35 Jahren des Scheiterns werde ich endlich mal gelobt
Meine Vereinskarriere war mit dem ersten Training direkt vorbei, und Andi, ob seines Versagerbruders im Klub blamiert, ließ es sich nicht nehmen, in mir den Gedanken einzupflanzen, dass der Coach mich zur nächsten Stunde wie ein Rachegott heimsuchen würde. Als es wenige Tage später unten an der Haustür klingelte, kauerte ich hinterm Sofa: "Omma, mach nicht auf. Das ist der Trainer, der kommt, um mich zu holen!"
Mein zweiter Gitarrenkursversuch vor ein paar Jahren scheiterte daran, dass der Lehrer sehr bemüht war, sofort meine Griffhaltung zu korrigieren und, viel schlimmer, mir in den ersten Stunden direkt Noten und Zahlen aufschrieb. Da brachen alte Mathe-Traumata auf, der Kopf machte zu, die Aufnahmefähigkeit war dahin. Allein, ins Spielen ließ er mich nie kommen.
Das macht mein jetziger Lehrer besser. Er lässt mich spielen. Da ist es wie beim Sport auch: Wenn wir spielen dürfen, dann spüren wir nicht einmal den Schmerz.
Und wenn ich im Wohnzimmer die ersten Songs spiele, werde ich nach rund 35 Jahren des Scheiterns endlich mal gelobt: "Das klingt schön, Papi." Diese Mischung aus Charme und kompletter Verlogenheit, das wiederum kann einem niemand beibringen. So was hat man einfach.