M. Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier Wie aus einem Fiebertraum von Jeff Koons: Über den Drang zur optischen Selbstoptimierung

  • von Micky Beisenherz
Micky Beisenherz
© Illustration: Dieter Braun/stern
Unser Kolumnist sieht im Spiegel immer öfter so aus wie auf Fotos, die er sofort löschen will. Was also nutzen: Filter oder Filler?

Gut gemeint ist bekanntlich oft das Gegenteil von gut gemacht. Mein iPhone meint es bestimmt gut, mir wie zufällig ausgewählte Fotos aus jüngerer Vergangenheit zu präsentieren. Wir im Biergarten, 2017. Auf Mallorca, 2019. Allein im Lockdown-Hotel, 2021.

Wobei es hier lediglich die Vergangenheit ist, die jünger erscheint. Auf den vom Telefon spöttisch angezeigten Bildern bin ich bedeutend, nun ja, dunkler. Mittlerweile teile ich mir mit einem Rauhaardackel das Fell. Salt and Pepper nennt man den Haarfarbton gern. Salz und Pfeffer und das etwas ledrig-zähe Stück Fleisch darunter, das sich Gesicht nennt. Nicht selten blicke ich morgens im Spiegel in ein Antlitz, so angeschwollen wie das eines übermotivierten Mannes, der am Abend zuvor Schlüters Boxbude besser nur als Zuschauer verlassen hätte.

Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier

Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.

Das ist nicht so schön. Bin ich doch vor circa zwei Jahren eingerastet in einem 47-jährigen Selbstbild, das ich eigentlich für die nächsten 20 Jahre beizubehalten gedachte. Dass davon jetzt so syltig Stück für Stück etwas abgetragen werden soll, ist eigentlich ungehörig. Bin ich wohl in eine Phase eingetreten, in der ich immer häufiger aussehe wie die Fotos, die ich sofort lösche.

Das kann ich jetzt mannhaft erdulden – man ist ja schließlich nicht eitel –, oder ich kann etwas machen lassen. Wer will schon immer müde aussehen? Möglicherweise habe ich als durch den Sport verschlissener Mann zu viel Zeit darauf verwendet, die Fersen und Gelenke mit Voltaren und Murmeltiersalbe einzuschmieren, anstatt obenrum dem Gesicht ein paar Feuchtigkeitsspender zukommen zu lassen.

Du liest von einer bedauernswerten Frau, die mit 34 gestorben ist und somit vorzeitig eine Art Lebenswerk beendete, das darin bestehen sollte, sich optisch Kim Kardashian immer weiter anzunähern. Am Ende dieses gruseligen Projektes sah die Dame aus wie aus einem Fiebertraum von Jeff Koons. Du schüttelst den Kopf, ja, zuckst bedauernd mit den Schultern und tust es ab, weil es ja mit dir nichts zu tun hat. Aber ist das so?

Lieber eitel und happy als unprätentiös schlecht drauf

Die jungen Frauen bei Instagram tun dir leid, aber du knallst bei jeder Gelegenheit selber einen Filter rein, um frischer auszusehen, während du noch mal die Geheimratsecken überstrubbelst. Und man kann von Lindner halten, was man will, aber dass der Finanzminister zunächst einmal die Löcher auf seinem schütteren Haupt gefüllt hatte, war optisch gewiss keine dumme Entscheidung. Könnte Jürgen Klopp eine Mannschaft noch so mitreißen mit einer Frisur wie Otto Waalkes? I doubt it.

Wo verläuft die Grenze zwischen uneitler Verwahrlosung und der Unaufrichtigkeit gegenüber Mitmenschen, die das Recht haben, dir beim Verfall zuzusehen? Ist eine Zahnklammer nicht schon eine unstatthafte Korrektur einer natürlichen Gebissfehlstellung? Die Nasenkorrektur als Vorspiegelung falscher Tatsachen? Falsche Brüste, falscher Charakter?

Heute mag man noch lachen über die Flugzeuge, die aus der Türkei zurück nach Deutschland kommen. An Bord drei Dutzend Männer mit Turban, die die Follikeltransplantation in Istanbul deutlich günstiger gekriegt haben als in der Kö-Klinik. In wenigen Jahren wird man Männer mit Haarkranz ansehen, als fehlten ihnen die Schneidezähne. Tränensäcke muss man nicht mehr durch alberne getönte Brillen kaschieren. Am Ende bin ich lieber eitel und happy als unprätentiös schlecht drauf.

Kommt halt nur darauf an, zu wissen, wo die Grenze verläuft. Bevor die Face-ID vom iPhone mich nicht mehr erkennt. Oder der eigene Hund die Zähne fletscht.

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