Zunächst einmal möchte ich mir für meine Großzügigkeit danken. Das ist nicht selbstverständlich, und das rechne ich mir hoch an. Ich rede über Trinkgeld – der Rorschachtest des kleinen Mannes, der Wahl-O-Mat für das persönliche Sozialverhalten.
Wie sich jemand gegenüber Servicepersonal verhält, ist verräterischer als jeder Tweet, und für herablassendes Verhalten gibt es keinen gnädigen Insta-Filter. Die Bereitschaft des Gegenübers, einen auch nur geringen Obolus zu entrichten, liefert etwa am Ende eines gemeinsamen Dates im Restaurant kostbare Informationen. Anstatt ihm direkt Pfefferspray in die Augen zu sprühen und aufzuspringen, nur weil er auf Ihre Frage nach dem Sternzeichen mit "Skorpion" geantwortet hat, lohnt es sich, zu warten, was am Ende des Bezahlvorganges geschieht.
Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier
Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.
Unlängst bemerkte ich ein interessantes Verhalten. Am Ausgang der Herrentoilette fiel mir auf, dass das Hinterlassen von Münzen auf dem Tellerchen der Toilettenfrau manchem ähnlich schwerfällt wie das Händewaschen nach der Erleichterung. Dass es der Reinigungskraft so erspart blieb, kontaminiertes Kleingeld entgegennehmen zu müssen, ist virologisch schön. Andererseits aber auch beschämend. So wollte ich natürlich nicht sein und kramte euphorisch in meiner Hosentasche, um das Menschenbild der Dame nach oben zu korrigieren. Nun hatte ich aber leider nur noch 20 Cent in der Tasche. Und einen Fünf-Euro-Schein.
Schnelle Abwägung. 20 Cent wären blamabel, fünf Euro eine durchaus angemessene Entlohnung. Die allerdings so großzügig ist, dass ich schon gern die Freude in den Augen der Frau sehen wollte. Nun war diese aber gerade in der Damentoilette verschwunden, um dort ihrem Tagewerk nachzugehen. In diesem Augenblick erwischte ich mich in all meiner Jämmerlichkeit. Für einen kleinen Moment ertappte ich mich dabei, den Fünfer wieder zurückziehen zu wollen, nur weil ich es nicht miterleben würde, wie sie sich über diese sagenhaft noble Geste freut.
Nur dann gut sein wollen, wenn es registriert wird
Nur: Ist der Akt weniger wert, weil ich die unmittelbare Reaktion nicht mitbekomme? Was ist das für eine Haltung, nur dann gut sein zu wollen, wenn es registriert wird?
Möglicherweise ist dieses seltsame Verhalten Ausdruck einer sozialmedialen Deformation, in der ausgestelltes Wohlverhalten erst dann Geltung bekommt, sofern man es mit Likes oder Faves honoriert bekommt. Es soll ja schon Prominente gegeben haben, die Videos von sich ins Netz gestellt haben, in denen sie Obdachlosen Gutes haben zuteil werden lassen. Das ist absolut widerlich. Gleichwohl ist dem völlig verarmten Mann geholfen.
Ähnliches gilt für die unerträglichen Galas gegen Ende des Jahres, wenn die deutsche Selbstbeweihräucherungselite in der ersten Reihe sitzt, um sich tränenschwanger gegenseitig der Bessermenschlichkeit zu versichern, solange es nur abgefilmt wird. Allein, es kommt ja trotzdem Geld zusammen. Wenngleich ich bezweifle, dass jemand wie Maschmeyer nach dem Verlassen des Festsaales noch zum Bono der Pinkelrinne mutiert.
Und ich?
Ich hab den Fünfer natürlich anonym auf den Teller gelegt. Bin danach allerdings noch zweimal aufs Klo gegangen. Gedrittelt war das Trinkgeld so üppig dann auch schon nicht mehr. Und dann noch die bösen Blicke der Toilettenfrau, an der ich zweimal vorbeiging, ohne was auf ihren Teller zu legen.
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