"Blue Man Group" Die Blauen vom Himmel

Matschbananen, Marshmallows und jede Menge Röhren: Mit ihrer außerirdischen Performance-Show will die Blue Man Group jetzt auch Deutschland begeistern. Machen Sie sich auf was gefasst!

Es gab einmal einen Planeten, der war ganz und gar aus Marshmallows, Wackelpudding und Matschbananen. Den hatte Gott aus all den Resten geschaffen, die im Himmel noch herumlagen, nachdem der Urknall vorbei war. Dieser Planet hielt sich, wie zu erwarten, nicht sehr lang und schmolz weg. Seine Bewohner, allesamt blau, kahl und auf den ersten Blick geschlechtslos, retteten sich mit Schleudersitzen ins Universum. Drei sind auf der Erde gelandet - einer in Texas, zwei in Manhattan. Dort leben sie noch heute. Den anderen 13 Millionen ist die Nasa auf den Fersen.

Hier auf der Erde merkt man den drei Blaumännern nicht an, dass sie aus einer Galaxie stammen, in der es nie mit rechten Dingen zuging. Sie sehen aus wie ganz normale New Yorker Performance-Künstler: kurze Haare, coole T-Shirts, drahtige Körper, affengeile Turnschuhe. Sie haben sich gut eingelebt, wenn man davon absieht, dass sie dauernd auf allem herumtrommeln, was ihnen in den Weg kommt. Das mag mit dem Urknall zu tun haben, den sie noch miterlebt haben. Abends, wenn das Licht im Saal ausgeht und genug Leute zuschauen, erwacht ihre extraterrestrische Lust an der Urmasse wieder. Dann fangen sie an, wie übermütige Kinder mit Marshmallows, Wackelpudding und Matschbananen rumzuschmeißen.

Die Blaumänner essen anders als wir. Einer wirft mit Marshmallows, der andere fängt sie mit dem Mund. Sie kriegen locker 30 davon in ihr Maul, bevor sie schlucken müssen. Außerdem stammen sie wohl von einem galaktischen Stamm von Installateuren ab, denn sie haben ein geradezu erotisches Verhältnis zu Schläuchen und Röhren. An die 200 Meter Abluftschläuche für Wäschetrockner verbrauchen sie in einer Show, um Geräusche zu erzeugen, wie man sie wohl hört, wenn man länger im Weltall unterwegs war.

Blaumann Phil Stanton, heute 43, landet als ältester Sohn bei einem fundamentalistischen Wanderprediger in Texas. Der zieht über Land und bekehrt mit ekstatischen Gottesdiensten das einfache Landvolk. Nur nicht Phil. Der setzt sich nach New York ab, um Schauspieler zu werden. Ihn habe die "mystische Art, Emotionen auszudrücken", wie sie in der Pfingstgemeinde des Vaters geübt wurde, sehr geprägt. Nur hilft sie ihm nicht im neuen Job, denn statt in Marlon-Brando-Rollen zu glänzen, spielt er, wenn er Glück hat, in Werbespots für Schokoriegel und japanischen Whiskey mit. Weil die Schauspielerei ihn nicht ernährt, jobbt er bei einer Catering-Firma. Bei der Hochzeit von Caroline Kennedy 1986 stößt er auf einen anderen Blaumann, Chris. Man erkennt sich sofort. Auch er hat dieses Flackern in den Augen, das signalisiert: "Die Kulturszene in New York ist im Geld verkommen, todernst und langweilig! Sie muss aufgemischt werden! Von uns !"

Blaumann Chris Wink, heute 42, landet bei einem Professor für Theologie an der schicken Upper Westside in Manhattan. Seine Mutter ist Therapeutin und Anhängerin der Orgasmus-Lehre von Wilhelm Reich. "Normal war re Familie nicht", sagt er heute, während er nervös mit allem herumspielt, was er in die Finger bekommt. Obwohl ein paar Millionen Leute in New York wohnen, fühlt er sich "einsam wie ein Außerirdischer", trommelt in einer Post-Punk-Band und geht nach Europa, um afrikanisches Trommeln, Chaostheorie, Bauhaus und Surrealismus zu studieren. Er will Performance-Künstler sein, er will die Marx-Brothers mit den Sex Pistols versöhnen, aber da lagen Reagans achtziger Jahre quer: aufgedonnert, geldgeil, hohl. Mit seinem ebenfalls blaublütigen Freund Matt, den er schon seit der siebten Klasse kennt, ist er sich einig: "Wir wollen Spaß haben!"

Blaumann Matt Goldman, heute 42, landet in einer liberalen jüdischen Familie in Manhattan, die Mutter schreibt Kinderbücher, der Vater über den neuesten Stand der Medizin. Nach ihrem Zusammentreffen wollen Matt, Chris und Phil den Off-Broadway in New York mit einer Show erobern, in der alles eine Rolle spielt, was sie interessiert: Brecht, Punk und Relativitätstheorie, essbare Tempera-Farbe und Dada, PVC-Rohre, Junk-Food und Buster Keaton. Aber wie macht man das, wenn man viele Ideen und kein Geld hat?

Zwei Jahre lang tingelten

sie durch die Szenebars im East Village, der freche Dreier spielte den Pausenclown, der sich über den Kulturbetrieb lustig machte. Sie waren wie von einem anderen Planeten. Sie hauten in die Farbe, dass es nur so spritzte. Spielten Trompete auf Abwasserrohren oder begruben die "völlig erstarrten achtziger Jahre" samt einer Reagan-Puppe im Central-Park. Nur dreißig Zuschauer kamen, aber MTV filmte das Happening so geschickt, dass niemand es merkte. Die New Yorker lachten, die "Blue Man Group" wurde schnell zu einem Insider-Tipp, bis ihnen 1991 ein gerissener Produzent eine Off-Broadway-Show anbot.

Die Bedingungen waren unterirdisch: Sie hatten drei Jahre lang aufzutreten, 1285-mal, ohne Pause, und weil dem Manager Putzfrauen zu teuer waren, mussten sie das Theater nach der Show selbst schrubben. Als er ihnen auch noch den Wackelpeter streichen wollte, den sie pro Woche für 900 Dollar verkleckerten, kündigten sie den Vertrag und kauften das historische Astor Place Theatre.

"Der Anfang war hart", erinnert sich Matt, "jeden Morgen gingen wir zur Arbeit und dachten, die Banken hätten ein Schild aufgehängt: Pleite." Die Show läuft noch immer in New York, jeden Abend ausverkauft. Aus den drei Kobolden in Blau sind solide Geschäftsleute geworden, die schon lange nicht mehr selbst auftreten können. Obwohl es zahlreiche Angebote großer Medien- und Showkonzerne gab, haben sie ihre gute Idee nie weiterverkauft.

Alle Entscheidungen werden, wie damals auf der Straße in Manhattan, einstimmig gefällt. "Zwei gegen einen, das gab es bei uns nie. Entweder gefiel eine Idee allen, oder sie war tot", sagt Matt Goldman. Rund 500 Angestellte sorgen dafür, dass die Shows in Boston, Chicago und Las Vegas auch so gut laufen wie in New York. Der Laden brummt, ständig müssen neue Blaumänner angeheuert werden, inzwischen sind es um die 40. Jetzt haben sie sich zum ersten Mal außer Landes gewagt, nach Berlin. In eine Stadt, die vom 10. Mai an ihr blaues Wunder erleben wird.

Claus Lutterbeck

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