Dunkle Nacht in irgendeiner Großstadt-Häuserschlucht. Straßenlaternen? - Fehlanzeige. Der in der Gasse wabernde Nebel ist so drückend, dass er in Sekundenbruchteilen die Erinnerung daran auslöscht, wie man an diesem Ort gelandet ist. Jedes Zischen aus einem Gullydeckel verursacht Gänsehaut. Über dem Albtraumszenario hängt ein bleicher Mond, rund und glitzernd wie eine CD. Da war doch was ... Aus den Nebelschwaden formen sich vier höhnisch lächelnde Gesichter. Dicht am Ohr ertönt ein Wispern. "Ihr wolltet Musik? Ihr kriegt, was ihr verdient."
"Delirium Cordia"
haben Fantomas, die Allstar-Combo rund um Alternativ-Ikone Mike Patton, ihr aktuelles Album genannt. Nicht umsonst hatten die Jungs angekündigt, das neue Werk werde weniger gefällig ins Ohr gehen als die Interpretationen von Filmmusiken, die sie auf ihrer letzten Scheibe "Director's Cut" zu Gehör brachten. Und leicht Verdauliches stand bei Fantomas sowieso noch nie auf dem Programm. Nachdem Mike Patton Anfang der neunziger Jahre die durchaus Charts-taugliche Gruppe Faith No More verlassen hatte, hat er sich mit all seinen Projekten konsequent auf musikalische Abwege begeben.
Sein ganz eigenes Konzept von "Uneasy Listening" ist Fahrstuhlmusik der besonderen Art: Der Soundtrack zu einem Fahrstuhl, der aufgrund technischer Schwierigkeiten gerade ungebremst nach unten stürzt. Noch 20 Stockwerke bis zum Vorhof der Hölle. Oder, wie Bandmitglied Trevor Dunn es beschreibt: "Dieses Album erinnert mich an das Mal, als ich Acid nahm, Soundtracks hörte und mir eine meiner eigenen Nieren entfernte."
Mr. Patton nennt das "Mood-Music"
Auf "Delirium Cordia" findet sich nur ein einziger Track, der dafür stolze 74 Minuten lang ist. Keine Speisekarte, keine praktischen musikalischen Häppchen für zwischendurch, sondern eine Herausforderung an den Konsumenten: Hier kocht der Chef - entweder du stehst auf und gehst, oder du genießt ein künstlerisches Gesamtmenü. Dieses umfasst unter anderem gregorianisch anmutende Mönchsgesänge, schmeichelnde Südamerika-Rhythmen, Wispern, Opernchöre, Schreie, Rauschen und ab und zu eine gepflegte Krach-Einlage von Drummer Dave Lombardo.
Mit einem klassischen Song-Album hat das natürlich wenig zu tun, weswegen Patton selbst lieber von "Mood-Music" spricht. Die Atmosphäre, die damit geschaffen wird, ist eher ruhig und gespenstisch wie ein alter Horror-Streifen mit leicht körnigem Bild. Prompt klagen Teile der Fangemeinde über zu wenig Energie und Action. Doch sie haben vielleicht noch nicht genau genug hingehört, denn was Fantomas hier durch die Ohren auf das innere Auge projizieren, ist Kopfkino vom Feinsten. Wenn Edgar Allan Poe und H.P Lovecraft sich zum Musizieren verabredet hätten, wären sie auf dieses Album als Ergebnis stolz gewesen.