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"Lohengrin" bei den Wagner-Festspielen Von einem Regisseur, der zu klein dachte

So hatte sich der viel geehrte Regisseur Hans Neuenfels seine Auftaktvorstellung bei den 99. Wagner-Festspielen wohl nicht vorgestellt: Nach seiner Inszenierung von Richard Wagners Oper "Lohengrin" wurde der 69-Jährige am Sonntagabend ausgebuht.

Trotz seiner 69 Jahre und vieler Ehrungen ist Regisseur Hans Neuenfels in Bayreuth für seine Neuinszenierung von Richard Wagners Oper "Lohengrin" mit orkanartiger Lautstärke ausgebuht worden. Das war bei der Auftaktvorstellung der 99. Wagner-Festspiele am Sonntagabend die Quittung für Regieprovokationen, die insgesamt weder schlüssig waren noch überzeugen konnten. Großen Beifall gab es dagegen für die Sänger, allen voran die beiden deutschen Opernstars Jonas Kaufmann in der Titelpartie und Annette Dasch als Elsa.

Als sich Neuenfels und sein Bühnen- und Kostümbildner Reinhard von der Thannen nach der Vorstellung auf der Bühne zeigten, war der Unmut im Publikum massiv. Deshalb stellten sich in einer sehr ungewöhnlichen Weise eilends die halbschwesterlich verbundenen Festspielleiterinnen Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier an die Seite der beiden Männer.

Viel geholfen hat dieser Solidarisierungsakt mit Neuenfels und von der Thannen allerdings nicht. Hauptgrund für die negative Reaktion vieler Besucher war die Verwandlung des im "Lohengrin" dramaturgisch und musikalisch so besonders wichtigen Chors in ein Rattenkollektiv, das in seiner aufwendigen Kostümierung mit Gitterköpfen und Rotlichtaugen eher lächerlich als abstoßend oder gar schockierend wirkte.

Angesiedelt ist die Neuenfels-Version von Wagners Romantischer Oper in einer Art Labor. Dort wird mit Ratten und Mäusen experimentiert und seziert. Die fast immer in grelle Helligkeit getauchte Bühne ist klinisch steril gestaltet.

Nur eine kümmerliche Topfeiche im ersten Akt und ein totes Plastikpferd im zweiten Akt künden von der Existenz der Natur außerhalb dieses Labors, dessen sichtlich gestört herumstolpernder Leiter mit Pappkrone Wagners Figur König Heinrich sein soll. Warum sich in dieser radikal künstlichen Szenerie das große Drama zwischen Elsa und ihren Feinden, dem verschworenen Paar Friedrich von Telramund und Ortrud, abspielen soll, bleibt höchst unklar.

Ebenso rätselhaft erscheint in der Inszenierung von Neuenfels das Motiv des Schwanenritters Lohengrin, aus "fernem Land, unnahbar euren Schritten" sich in dieses extrem ungastliche Labor zwecks Rettung einer verzweifelten jungen Frau zu begeben. In etlichen Interviews und im Programmheft haben der Regisseur und Mitglieder seines Teams ihre sehr spezielle Interpretation der auch 160 Jahren nach ihrer Uraufführung in Weimar unverändert populären Wagner-Oper wortreich plausibel zu machen versucht. Doch wie im Fußball die Wahrheit bekanntlich auf dem Feld liegt, muss sie bei der Oper letztlich auf der Bühne zu sehen und zu hören sein.

Überzeugende, ergreifende Momente sind in der handwerklich durchaus akzeptablen Inszenierung leider zu rar, um mehr als Inseln in einer der typischen Hervorbringungen des anderswo längst in Verruf geratenen "Regietheaters" sein zu können. Neuenfels kann mit der Pathetik, die gerade "Lohengrin" innewohnt, überhaupt nichts anfangen. Das ist gerade bei einem deutschen Regisseur verständlich.

Der Brite Keith Warner, der die Romantische Oper von 1999 bis 2005 in Bayreuth in Szene setzte, hatte damit hingegen keinerlei Probleme. Doch dass Neuenfels alles Pathetische entweder mit Trickfilmchen oder mit Zeigefingerdidaktik unschädlich zu machen versucht, wirkt ungelenk und verkrampft. Folglich darf die Titelfigur auch kein wirklicher Held sein.

Für diese Rolleninterpretation eignet sich Jonas Kaufmann ausgezeichnet. Äußerlich mehr ein "Latin Lover" als ein blonder Recke wie der einst in Bayreuth so vielgeliebte Peter Hoffmann, verfügt Kaufmann über eine eher dunkle Tenorstimme, die bei aller sängerischen Brillanz keine klassische "Wagner-Stimme" ist. Gleichwohl ist seine Grals-Erzählung im Schlussteil des dritten Aktes berührend dargeboten.

Die Elsa von Annette Dasch besitzt große Bühnenpräsenz. Nur die erotische Chemie zwischen der großen Blondinen und dem neben ihr zierlich wirkenden Kaufmann lässt zu wünschen übrig. Zwei Stars sind eben nicht immer auch gleich ein Traumpaar.

Der erst 31-jährige lettische Dirigent Andris Nelsons besteht sein Debüt im berühmten Festspielhaus-Graben gut, er lässt die manchmal fast narkotisierende Süße der Wagner-Töne nie zu süß werden. Allerdings leidet seine Leistung ebenso wie die des von Eberhard Friedrich geleiteten Chors unter dem Diktat eines Regisseurs, der sagt: "Wagners Musik denkt, und sie denkt groß".

Hans Neuenfels provoziert damit aber geradezu die Frage, warum seine Inszenierung so oft nichts anderes im Sinn hat, diese grandiose Musik des bei ihrer Vollendung noch jungen Komponisten kleiner und beiläufiger zu machen als sie ist. Labore mit Ratten sind halt kein ideales Gelände für Kunst, die in die Seele geht.

Wolfgang Hübner, APN APN

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