Kultsong "Elke" "Cancel Culture" bei den Ärzten? Nein, die Band hat einfach dazugelernt – und zwar nicht erst jetzt

Die Ärzte Farin Urlaub
Ärzte-Sänger Farin Urlaub schrieb den Song "Elke"
© snapshot / Imago Images
Die Ärzte spielen ihren Song "Elke" nicht mehr – und schon wittern einige wieder eine "Cancel Culture". Dabei hat die Band den Song schon länger nicht mehr im Repertoire. Mit öffentlichem Druck hat das nichts zu tun.

Es war nur eine kleine Ansage, welche die Diskussion um "Elke" auslöste. Ihren bekannten Song über die sehr dicke Frau mit diesem Namen wollten die Ärzte bei einem Konzert in Berlin nicht mehr spielen, obwohl sich einige Fans das wünschten. "Fatshaming und misogyn", sei das Lied, entgegnete Sänger Farin Urlaub: "Sowas spielen wir nicht mehr, das ist letztes Jahrtausend."

Bei den Fans der Band sorgte das für gespaltene Reaktionen. Einige liebten ihre Idole noch umso mehr, weil sich Bela, Farin und Rod offenbar nicht mehr öffentlich über dicke Menschen lustig machen und frauenverachtende Texte singen wollen. Andere warfen der Band vor, sie unterwerfe sich einer "Cancel Culture", die alles aus dem öffentlichen Diskurs verbanne, was nicht mehr politisch korrekt sei. Wobei sich die Frage stellt, wie viele davon wirkliche Ärzte-Fans sind und wie viele zu denen gehören, die gewohnheitsmäßig in solchen Fällen auf die (digitalen) Barrikaden gehen.

So oder so, ihr Vorwurf, die Ärzte seien unter irgendeinem Druck eingeknickt, ist schwer nachvollziehbar. Vielmehr sieht es so aus, als hätte die "beste Band der Welt", wie sich die Ärzte gern selbst nennen, einen ganz normalen Prozess durchlaufen: Sie hat im Laufe der Jahre einfach dazugelernt.

"Elke" stammt aus einer anderen Zeit

Der Song "Elke" stammt aus dem Jahr 1988. Das war nicht nur gesellschaftlich eine andere Zeit, sondern auch für die Ärzte: In jenem Jahr trennte sich die Band für fünf Jahre, erst danach stieß Rodrigo González (besser bekannt als Rod) dazu. Ganz schön lange her also, in jeder Hinsicht. Das war die Zeit, in der Farin Urlaub Zeilen schrieb wie: "Sie hat zentnerschwere Schenkel, sie ist unendlich fett /  Neulich hab ich sie bestiegen, ohne Sauerstoffgerät."     

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34 Jahre sind seitdem vergangen, die Welt hat sich verändert, die Band auch. 1988 waren die Ärzte eben noch nicht die Band, die die "Tagesthemen" eröffnete und sich mit den Toten Hosen auf eine Bühne stellte. Von Erwachsensein wird man bei den Ärzten womöglich nie sprechen können, dafür sind so manche auch neuere Songs und ihre Geplänkel auf der Bühne einfach zu albern. Aber erwachsener geworden sind sie allemal. Und dazu gehört nun mal auch, einigermaßen kritisch auf sein früheres Ich zurückzublicken – wer kennt es nicht?

Bei einer großen Band kann man sich das eventuell vorstellen wie wenn wir nach Jahren alte Bilder aus unseren Facebook-Fotoalben löschen. Im konkreten Fall von "Elke" sagte Farin Urlaub dem Radiosender "Deutschlandfunk Kultur" 2020, er schäme sich zwar nicht für das Lied, aber: "Heute würde ich damit anders umgehen."

Die Ärzte spielen "Elke" schon länger nicht mehr

Wer da von "Cancel Culture" redet, spricht der Band ihre Eigenständigkeit ab. Natürlich können die Ärzte selbst entscheiden, welche ihrer Songs sie spielen und welche nicht – das Gesamtwerk ist nach 40 Jahren Bandgeschichte ohnehin so umfassend, dass sie (mindestens) drei Abende durchspielen könnten, ohne sich zu wiederholen. Im Fall von "Elke" hat das Umdenken schon früher eingesetzt: Die Übersicht der Songs auf der Seite "Setlist.fm", welche die Ärzte bei ihren Konzerten gespielt haben, zeigt, dass "Elke" zuletzt 2011 zur Aufführung kam. Danach wurde das Stück anscheinend in Rente geschickt – ohne irgendeinen größeren Aufschrei.

Abseits des Konzerts in Berlin reagierten die Ärzte nicht auf eine stern-Anfrage zu dem Thema. Doch die Ansage bei dem Auftritt lässt darauf schließen, dass Farin, Bela und Rod ihre Texte von einst durchaus differenziert reflektieren und ihre Schlüsse daraus ziehen. Es wäre ja auch schlimm, wenn nicht – schließlich werden Bela B in diesem und Farin Urlaub im nächsten Jahr schon 60.

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