Es gibt Momente, die den Puls beschleunigen und das Herz höher schlagen lassen – und für mich spielen sich einige davon auf Konzerten ab. Wenn das Licht ausgeht und die Band die Bühne betritt, zum Beispiel. Oder wenn die ersten Töne des Lieblingslieds erklingen, die man überall erkennen würde, und man die Person neben sich vor Begeisterung schüttelt. Oder wenn in diesem Lied diese eine Stelle, diese eine Zeile, kommt, bei der die Welt für eine Sekunde stehenzubleiben scheint. Oder die anderthalb Herzschläge lange Stille zwischen den letzten Tönen eines bewegenden Stücks und dem losbrandenden Applaus danach.
All das sind nur noch entfernte Erinnerungen, denn seit gut einem Jahr leben wir in einer Welt ohne Konzerte. Am 8. März 2020 empfahl Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, wegen des sich ausbreitenden Coronavirus alle Veranstaltungen mit mehr als tausend Teilnehmern abzusagen. Darunter fielen auch die meisten Konzerte. Ein Jahr ist das nun her, und an eine Rückkehr zur Normalität ist noch lange nicht zu denken. Für Clubs, Musiker und Veranstalter ist das eine existenzbedrohende Situation – aber auch viele Fans vermissen es sehr, ihrer Leidenschaft nachzugehen.
Leidenschaft Konzerte: Wenn die Musik beginnt, ist alles vergessen
Einen Tag, bevor Jens Spahn mit seiner Empfehlung vor die Presse trat, besuchte ich mein bisher letztes richtiges Konzert. Mit deutlich mehr als tausend Besuchern, inmitten einer wogenden, schwitzenden Menschenmasse. Die Vorstellung mutet heute beinahe obszön an, und auch damals – unter dem Eindruck von gerade mal 850 Infektionen in ganz Deutschland – spielte irgendwo im Hinterkopf schon ein seltsames Gefühl mit. Doch wie es so ist: Sobald die Musik spielt, ist alles vergessen. Das ist ja das Schöne daran. Deichkind traten damals in Hamburg auf – nach wie vor eine der besten deutschen Live-Bands, spannend und unvergesslich wie eine Safari mit wilden Tieren. Dass es das letzte Konzert für so lange Zeit sein würde, ahnte wohl niemand von uns.
Ich gehe im Jahr auf 30 bis 35 Konzerte, manchmal in großen Stadien, manchmal in kleinen Clubs, in denen der Schweiß von der Decke tropft. Einmal habe ich an drei Abenden hintereinander das gleiche Konzert gesehen, ohne dass es langweilig wurde. Live-Musik ist meine Leidenschaft, manche sagen auch: meine Droge. Für nichts gebe ich so viel Geld aus, reise ich durch Deutschland und ins Ausland, nirgends kann ich so gut die Welt vergessen und den Kopf ausschalten. Es ist ein riesiger Verlust an Lebensqualität, dass das – neben so vielem anderem in dieser Corona-Zeit – nicht mehr geht. Ein Jahr ohne richtige Konzerte, das fühlt sich an wie ein trauriges Jubiläum. Oder ein richtig harter Entzug.
Mit Abstand und ohne Mitsingen? Das sind keine echten Konzerte
Natürlich gibt es Ersatzhandlungen. Ich spreche von "richtigen Konzerten", weil durchaus Versuche unternommen wurden, Live-Auftritte zu ermöglichen. Im Sommer konnte unter freiem Himmel gespielt werden, es gab Konzerte im Autokino-Stil, Musiker spielten in ihren Wohnzimmern Gitarre. Alles nett, aber weit entfernt vom Original. Ich war bei einem dieser Konzerte, von einem meiner absoluten Lieblingsmusiker sogar – aber nein, das war kein "richtiges Konzert". Wenn alle mit 1,5 Metern Abstand voneinander sitzen müssen und nicht mitsingen dürfen, hat das nur noch wenig mit dem zu tun, was wir alle so geliebt haben.
Regelmäßig ertappe ich mich dabei, wie ich mir im Internet Konzertmitschnitte anschaue oder Live-Alben anhöre. Die transportieren die Magie eines Konzerts zumindest im Ansatz. Manchmal hört man, wie irgendjemand im Publikum sein Adrenalin nicht mehr bändigen kann und irgendwas zu brüllen anfängt. Das sind diese eingangs erwähnten unvergleichlichen Momente. Silvester habe ich pandemiekonform alleine zu Hause gefeiert und mir ein Konzert einer meiner Lieblingsbands auf Youtube angeschaut – was für ein schwacher Trost! Da konnte ich aber immerhin so laut mitsingen, wie ich wollte. In der Öffentlichkeit ist Singen – eigentlich das Schönste auf Konzerten – mittlerweile ja zum gemeingefährlichen Akt geworden.

Kultur in der Krise: Wird es wieder so wie früher?
Mittlerweile stellt sich nicht mehr nur die Frage, wann es wieder so wird wie früher – sondern auch, ob überhaupt. Nach einem Jahr Kultur-Lockdown ist die Lage für viele Musiker, Clubs und Veranstalter dramatisch. Wie viel von dem, was wir im März vergangenen Jahres eingefroren haben, nach der Pandemie noch da ist, kann heute niemand sagen.
Aber dass es wieder tolle Musik auf Bühnen geben wird und ich dabei sein werde, daran glaube ich ganz fest. In meiner Schreibtischschublade liegt ein Briefumschlag, darin befinden sich die Tickets für all die Konzerte, die ausgefallen sind. Manchmal poste ich ein Foto auf Instagram davon: "Das wäre heute gewesen ..." Mittlerweile wurden die Veranstaltungen zwei- oder dreimal verschoben, ich habe aufgehört, mir die neuen Termine in den Kalender einzutragen. Vor ein paar Wochen ist trotzdem ein neues Ticket hinzugekommen, für ein im Mai geplantes Konzert. Wahrscheinlich war es unvernünftig und übertrieben optimistisch, die Karte zu kaufen. Aber ein bisschen Hoffnung braucht der Mensch eben.