Hört man Louie Austen zu, wirkt das eigene Leben plötzlich so winzig. Wenn der 62-Jährige die Stationen seines Lebens aufzählt, wird manchen Menschen schwindelig von so viel Lebenslust. Er war lange Zeit in Australien, in Südafrika und in den USA. Seine erlernten Berufe reichen von Ingenieur über Musiker bis Zoologe. Wofür andere drei Leben benötigen, das erledigt der in nur einem. Und seit neun Jahren ist der ältere Herr ein Indie-Star der Elektro-Szene. Gerade hat er mit Blumfeld-Keyboarder Vredeber Albrecht die EP "Too Good To Last" veröffentlicht. Aber der Reihe nach.
Wer den Wiener mit seinem weißen Anzug heute auf der Bühne stehen sieht, so grinsend, so gelöst wie einst Dean Martin, der könnte meinen, Louie Austen komme direkt aus einer Villa am Comer See. Doch aristokratische Gene sucht man vergeblich in seiner Familie. Als Alois Luef kommt er im grauen Nachkriegs-Wien in einem beengten Arbeiterhaushalt zur Welt. Der Kontakt mit Musik beschränkt sich vorerst aufs Radiohören, bis ihm sein Vater mit sieben Jahren endlich ein Klavier kauft.
Obwohl sich sein Talent abzeichnet, bestehen seine Eltern auf ein Ingenieursstudium. Austen kommt sich vor wie ein Alien, keiner versteht seine Wünsche. "Wien war damals ein Nährboden für Kultur, denn es war Frustration und Depression pur", blickt Austen zurück. "Jeder Wiener war für Sigmund Freud ein potentieller Patient. Es gab nur zwei Möglichkeiten: Entweder man entrinnt der Tristesse oder man ergibt sich ihr. Ich habe unter der Kleinheit und Enge gelitten wie ein Hund, schließlich bin ich in die Musik geflüchtet."
Stationen eines Weltenbummlers
Louie Austen wechselt an das Wiener Konservatorium, um Gesang und Schauspiel zu studieren. Doch nach dem Studium zieht es ihn, getrieben vom Fernweh, sofort nach Südafrika - ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als die Apartheid in vollem Gange war. Eine Schnapsidee, wie sich nach kurzer Zeit herausstellt. "Ich bin 1972 ausgewandert, und nach sechs Monaten wiedergekommen, weil sich mein bester Freund als Rassist entpuppt hat. Ich war total fertig, denn viele meiner Vorbilder sind Schwarze" gibt er zu Protokoll. Der eigentliche Grund seiner Ausreise ist eine Schifffahrt, die so verlockend billig ist, dass er und seine Frau sich die Passage leisten können. Kurz darauf der nächste Versuch, Österreich in der Fremde zu vergessen. Diesmal zieht es den Kauz nach Australien. Auch hier ist die Wahl des Landes so banal wie ökonomisch: Ingenieure, die in Australien dringend benötigt werden, bekommen die Einreise vom Staat finanziert.
"Too Good To Last"
Louie Austens Songs hören sich genauso elegant an, wie seine Anzüge aussehen. Diesmal schneiderte Vredeber Albrecht, der frühere Blumfeld-Keyboarder, dem Crooner die Tracks zurecht. Wie nicht anders gewohnt, entfalten sie schnell wieder diese wunderbare Leichtigkeit und Frische - da wähnt man sich direkt unter den Palmen der Côte d'Azur. Ein paar Molltöne verdrängen auf der EP überraschenderweise die sonnigen Momente. Da wird schon mal geschickt New Order zitiert, natürlich nicht ohne die optimistische Grundstimmung beizubehalten. Zwar sucht man Tanz-Klassiker wie "Easy Love", "Amore" oder "Hoping" vergeblich. Dafür prickeln die Songs auf "Too Good To Last" (Klein Records) so angenehm wie ein gutes Glas Champagner.
Australien, wo sich Alois Luef auf Anraten eines Freundes in Louie Austen verwandelt, weil er sich so besser verkauft, bleibt nur eine kurze Station seiner Reise. Länger hält es ihn in New York. Dort tritt der Vagabund Ende der 70er Jahre in schäbigen Nachtclubs auf. Und dort trifft er auf die Harlem Blues and Jazz Band. Zwei glückliche Jahre folgen, doch dann zieht es Austen mit neuer Frau nach Las Vegas, wo er sich auf die Spuren seiner Vorbilder vom Rat Pack begibt. Die Clubs, in denen Frank Sinatra, Dean Martin und Sammy Davis Jr. Erfolge feierten, brauchen aber kein österreichisches Abziehbild. Auch dort scheitert Louie, was ihn jedoch nicht stört: "Ich habe immer 20 Ideen am Tag. Bei 19 Ideen scheitere ich grandios - aber zu scheitern ist ja ein Privileg." Einmal in Fahrt, doziert er: "Das Glückszentrum sitzt an derselben Stelle wie das Lernzentrum. Da ich dauernd lerne, befinde ich mich in einem ständigen Glücksrausch."
Zwischen Heizdeckenverkäufer und Pin-Up-Boy
Vom Reisen genervt, kehrt Louie Austen zurück nach Wien. In seiner Heimatstadt darf der smarte Sänger endlich zeigen, was er auf amerikanischen Showbühnen gelernt hat. Im mausgrauen Wien der 80er Jahre pustet der verlorene Sohn den Muff aus den dicken Teppichen der Hotel-Bars. Jeden Abend kopiert Austen im Hilton und Marriott US-Vorbilder in seiner unnachahmlichen charmanten Art - irgendwo zwischen Heizdeckenverkäufer und Pin-Up-Boy der Best Ager. Die Gäste bedanken sich mit viel Applaus, das Hotel zahlt üppige Gagen.
In Wien ist aus dem Tramp ein Entertainer mit bürgerlichem Wohnsitz geworden. "Ich wollte immer in einer geräumigen Wohnung hausen, die mich nicht einengt." Jetzt wohnt der Träger weißer Anzüge auf 160 Quadratmetern Altbau im noblen 1. Bezirk. Doch wie immer langweilt den Mann, der sich nie etablieren möchte, um stets kreativ zu bleiben, auch dieser Zustand schnell. Das ist der Moment, in dem das zweite Leben von Louie Austen beginnt.
Vegetarier trifft auf rohes Fleisch
Ende der 90er Jahre trifft er auf die jungen Produzenten Mario Neugebauer und Patrick Pulsinger. Die beiden schreiben ihm Songs und mit 53 Jahren erscheint das erste Elektro-Album von Louie Austen. "Ich als Vegetarier treffe auf rohes Fleisch. Als studierter Musiker spiele ich mit Laien, die keine Ahnung haben, was eine Note ist. Reibung und Gegensätze sind immer faszinierend für mich. Wenn ich als Crooner über den Beat hinübersurfe, macht das einfach Freude", erinnert sich der Musiker an den Moment, an dem ihm erstmals hübsche Szene-Mädels zujubeln. Auf weitere Platten folgen ausgedehnte Touren des smarten Gentleman. Mittlerweile gibt er im Jahr 150 Konzerte weltweit.
Umso faszinierender ist es, mit welcher Leichtigkeit sich der klassische Künstler auf die Sound-Experimente einlässt. Ob Easy Listening, 80er-Discosound, Dub, Dance, HipHop und House - Austen vertritt alles mit viel Authentizität. Statt mit gereiften Herren aufzutreten, tourt Louie Austen jetzt mit Jungs, die seine Enkel sein könnten. Auf die Frage nach Groupies antwortet er immerhin altersgerecht: "Erstaunlicherweise sitzen nach dem Konzert häufig gut aussehende, junge Mädchen bei mir, die nett zu mir sind. Aber ich bin nach dem Konzert meist so erschöpft, dass ich alleine ins Hotel gehe. Nachdem ich das Rauchen und Trinken komplett eingestellt habe, bin ich wirklich kein Partylöwe mehr. Trotzdem genieße ich die Bewunderung der Damen."
Mittlerweile ist auch der Film auf ihn aufmerksam geworden: In Stefan Ruzowitzkys Oscar gekröntem Epos "Die Fälscher" spielte Austen unlängst eine Nebenrolle. Und auch am renommierten Wiener Burgtheater darf er seine schauspielerischen Qualitäten regelmäßig zeigen. Als Special Guest bei Senor Coconut & His Orchestras tourt der Crooner gerade durch Deutschland. Fühlt er sich dabei als Gallionsfigur der Best Ager? "Wenn ich das sein darf, warum nicht", verkündet er. Und fügt nach kurzer Pause dazu: "Jüngere Menschen sagen mir häufig, dass sie keine Angst mehr haben zu altern, wenn sie mich sehen. Das ist ein wunderbares Kompliment."