Ab sofort wollen die norwegischen Melancholiker von Madrugada keine Trauergebinde mehr an ihre Songs heften. Auf ihrem neuen Album »Grit« (Virgin) geht es überraschend kernig zur Sache. Orientierung geben nicht mehr Nick Cave, Nick Drake oder Joy Division, sondern die Stooges und Postpunk-Bands der 80er Jahre. »Wir wollten ein Rockalbum ohne Abstriche aufnehmen«, berichtet Sänger Sivert Hoyem. Trotzdem ist der eigentümliche Schwermut der Band nicht völlig verschwunden.
Von Norwegen ins Zentrum
Für Trübsal besteht eigentlich kein Grund, angesichts ihrer Erfolgsgeschichte. Madrugada können es selbst noch kaum fassen, dass sie es vom randständigen Norwegen aus weit hinein ins Zentrum der europäischen Musikszene geschafft haben. Sänger Sivert Hoyem, Gitarrist Robert Buras, Bassist Frode Jacobsen und Drummer Jon Pettersen erhielten Ende der Neunziger einen Vertrag bei der Plattenfirma Virgin und waren ziemlich erstaunt, dass ihr Debütalbum »Industrial Silence« gleich europaweit veröffentlicht wurde und das Publikum vor allem auch in England und Deutschland begeistert auf die Gruppe aus Skandinavien reagierte.
Fans des halbmythischen Amerika
Genau genommen haben sich Madrugada von dieser Überraschung immer noch nicht erholt. Obwohl die Band mittlerweile über 250.000 Platten von ihrem Debüt und dem Nachfolgealbum »The Nightly Disease« abgesetzt hat, sind ihre Mitglieder in erster Linie immer noch Fans: Fans alter Blues-Scheiben, Fans klassischer Rock-Platten, Fans des halbmythischen Amerika, das als Wiege der Rockmusik gilt.
»Ich bin einmal ein paar Monate durch den Westen der USA gereist«, erzählt Robert Buras: »Nicht dass ich die durchschnittlichen US-Amerikaner oder das Gesellschaftssystem dieses Landes besonders schätzen würde aber sich an diesen Orten aufzuhalten, erzeugt einen aufregenden Geschmack im Mund.« Mit »diesen Orten« meint Buras die Stellen, auf denen die Väter und Großväter der Popmusik gewandelt sind.
Ihnen gilt das Interesse Madrugadas, nicht den modernen Klängen der metalrappenden USA. Sivert Hoyem macht aus seiner Abneigung keinen Hehl: »Mit diesem Nu-Metal-Kram kann ich so gar nichts anfangen. Das ist hirnlose Musik für hirnlose Kids. Aber wenn man Teenager ist, ist das wohl okay. Ich habe als Teenager auch Iron Maiden gehört. Gefällt mir heute auch nicht mehr so besonders gut.«
Vorbilder talentiert weiterentwickelt
Gut gefallen dagegen Sivert und seinen Bandkollegen die Klassiker der Popgeschichte von den Rolling Stones und Bob Dylan über Velvet Underground und MC 5 bis zu diversen Rootsmusiken zwischen Folk und Country. Ihnen eifern Madrugada mit Erfolg nach, entwickeln aber die Vorbilder so talentiert weiter, dass dabei ein völlig eigenständiger Sound entsteht, der auch die neue Platte »Grit« zu einem Juwel in der Rocklandschaft wachsen lässt. Dabei ignorieren Madrugada auch neuesten technische Möglichkeiten nicht. Sivert Hoyem erläutert: »Natürlich verwenden wir manchmal auch Samples oder Synthesizer. Aber soll immer natürlich klingen und sich in den Gesamtsound einbetten.«
In einen Gesamtsound, der auf »Grit« wesentlich rockiger daherkommt als auf den bisherigen Alben Madrugadas. Am Ausstieg des Drummers Jon Pettersen hat das nicht gelegen, eher an den Erfahrungen aus den Live-Konzerten. Robert Buras erzählt: »Mit unserem bisherigen Material waren Live-Konzerte fast immer ein Kampf. Wir haben viele sehr zerbrechliche Songs, und da muss das Publikum wirklich aufnahmebereit dafür sein. Wenn wir sahen, dass das Konzert auf der Kippe stand, haben wir meistens einfach härter gespielt. Das hat sich auf unserem neuen Album niedergeschlagen.«
Sivert sieht es etwas simpler: Damit sollte nun wenn möglich auch das Publikum im »verehrten« Amerika auf die Band aus Norwegen aufmerksam gemacht werden. Eine Tour ist in Planung. Keine Zeit für Trauer also bei Madrugada.
Tourdaten:
12.11. Bochum (Matrix), 18.11. München (Muffathalle), 21.11. Berlin (Columbiahalle), 22.11. Leipzig (Werk 2), 23.11. Hamburg (Große Freiheit 36), 09.12. Köln (Live Music Hall), 10.12. Stuttgart (Longhorn) 11.12. Frankfurt (Batschkapp).