Michael Jacksons treuester Fan Aspirin aus Neverland

Von Monique Berends
Jennifer hat Michael Jackson bereits 16 Jahre ihres Lebens geschenkt. Tausende Euro, jede Menge Flugstunden, Schweiß und Tränen hat sie in ihre Verehrung gesteckt. stern.de zu Besuch bei einem Michael-Jackson-Follower.

"Schuhe bitte ausziehen". Jennifer* steht in der Tür und lächelt mich entschuldigend an. Ich betrete eine gemütliche Zweizimmerwohnung - und bin erstaunt: Ein Schrein sieht anders aus. Ein Freak auch. Kommt schon noch, denke ich und scanne den Flur nach verdächtigen Fotos und Bravo-Starschnitten. Nichts. Irgendetwas werde ich schon finden. Diese Frau kann nicht normal sein. Immerhin zählt sie sich seit mehr als 16 Jahren zum Dunstkreis des King of Pop. Richtig, Jennifer verehrt Michael Jackson. Und es ist ihr nicht mal peinlich.

Frauen um die 30, die alleine mit einer Katze leben, sind alte Jungfern. Frauen um die 30, die alleine mit Michael Jackson leben, sind einfach nur Freaks. Alles andere ist unrealistisch. Oder nicht? Möglichkeiten zum Vergleich gibt es nicht viele: Jennifer ist weltweit eine von geschätzt 30 Followern (Jünger), so nennen sich diese Hardcore-Fans. In Deutschland gebe es nur zwei weitere, die Ähnliches für den King of Pop auf sich nehmen, wie sie, sagt Jennifer.

Doch kennt man einen, kennt man alle. Die Follower unterscheiden sich lediglich im Ausmaß und Wert ihrer Sammlung, die kollektive Exklusivität der Michael Jackson-Freundschaft haben sie alle gemeinsam: Follower suchen, finden und pflegen die Nähe zu einem lebenden Mythos, die anderen Leuten absurd erscheint.

Seitdem sie 13 ist, sammelt Jennifer alles, was es von und über Michael Jackson gibt. "Ich mag gar nicht drüber nachdenken, was das alles gekostet hat", stöhnt sie. Damals hatte sie eine Fernsehsendung gesehen, in der der Sänger live auftrat. "Ich war begeistert von seiner Ausstrahlung. Es hat einfach Klick gemacht." Ihre Ausgaben gehen in die 20.000 Euro, doch die Wertsteigerung über die letzten Jahrzehnte ist kaum einzuschätzen. Sollten jemals schlechte Zeiten anbrechen, wird sie sich damit locker über Wasser halten können. Will sie aber nicht: "Niemals. Meine Sammlung gebe ich nicht her."

Jacko im Schrank

In einem überdimensionalen Schrank verstaut die Bürokauffrau hinter zwölf Türen mehrere Kubikmeter Michael-Jackson-Devotionalien. 400 CDs und LPs, fast 100 Bücher, dazu hunderte Magazine, Bildbände, Zeitschriften und Fotos gehören zu ihrer Sammlung. Musikzeitschriften wie der "Rolling Stone" aus dem Jahr 1983, "Billboard" aus dem Jahr 1984. Jennifer besitzt allein 25 Ausgaben von "Thriller", mit 104 Millionen Exemplaren immer noch das meist verkaufte Album der Welt. Auch im Schrank verstaut: Michael-Jackson-Puppen, Michael-Jackson-Schuhe und sogar eine Imitation seines futuristischen Pullovers aus dem legendären "Scream"-Video. Jennifer hat nichts ausgelassen.

Doch am wichtigsten ist ihr der Kontakt. Sie will Michael Jackson nahe sein, sie will seine "unglaubliche Ausstrahlung" am eigenen Leib spüren, in seine "wunderschönen Augen" blicken. Zwar ist der Popstar schon seit Jahren ihr unsichtbarer Mitbewohner aus Papier und Vinyl, doch das reicht ihr nicht. Ihn zu treffen, mit ihm zu sprechen, das sei der ultimative Kick, sagt sie. "Adrenalin, Herzklopfen, das man nur bekommt, wenn man Michael sieht." Ist das besser als Sex? "Ganz sicher nicht." Sie weiß es, schließlich hatte sie schon einige Freunde. Aber auch Männer, die sie gerne wieder loswerden wollte. "Dann muss ich nur Michaels Namen sagen, und schon sind sie weg. Das zieht immer."

Backstage

Wenn sie dann allein dasteht, weiß Jennifer, an wen sie sich wenden kann. Denn als Michael Jacksons Follower ist man niemals allein. Jennifer ist Teil eines gut organisierten Netzwerks. Per Chat, Mail und Telefon miteinander verbunden, tauschen sie News aus, klären, wo sein nächster Auftritt sein wird, welchen engen Freund er demnächst besuchen könnte. Dann sind sie da. Früher dank Einfallsreichtum und Dreistigkeit, heute dank hart erarbeiteter Freundschaft zu Jacksons Mitarbeitern. Denn auch wenn die Follower ihrem Star treu bleiben - die Zeiten haben sich vor allem nach dem Missbrauchsprozess vor drei Jahren geändert. Die Auftritte des entthronten Königs sind selten geworden, er selbst ist älter, sein Körper noch zerbrechlicher. Kaum ein Teil seines Gesichts kann mit ihm am 29. August seinen 50. Geburtstag feiern. Das zigfach operierte Antlitz des einstigen Weltstars geistert allenfalls noch auf Paparazzi-Bildern durch die Nachrichten, abgemagert, im Rollstuhl sitzend. "Das war ein Scherz", sagt Jennifer mit wissendem Lächeln. "Das ist sein Humor. Aber niemand traut ihm das zu."

Das Mädchenhafte, die Sommersprossen, das Spontane machen die junge Frau irgendwie unglaubwürdig. Sie wirkt zu süß, um extrem zu sein. Naiv und weltfremd, ja. Extrem? Nein. Doch wer einem Star der Nähe wegen in 27 Länder nachreist, ist extrem. Ein Fan. Und Fan kommt bekanntlich von fanatisch. "Ich mag das Wort nicht. Fans kreischen, ich nicht", sagt sie. Statt zu kreischen stellt sie sich stundenlang vor Hotels und beobachtet das Sicherheitspersonal, um herauszufinden, ob Jackson noch vorbeikommen wird. Sie freundet sich an mit Bodyguards und PR-Leuten, um Backstage und hinter all die Absperrungen zu gelangen, die Jackson von seinen Anhängern trennen. Hartnäckig und freundlich kann sie sein. Das hat ihr inzwischen an die 30 Fotos mit dem Star eingebracht.

Einladung nach Neverland

Auf denen ist sie manchmal kaum zu erkennen, mit viel Fantasie entdeckt man seine Hand und ihren Hinterkopf. Oder sie steht in der Menschenmenge, fünf Meter von Michael entfernt. Doch dann gibt es auch die Bilder, die sie und Michael Arm in Arm zeigen. In London, Prag, Paris. Jennifer mit 14, mit 18, mit 23. Überglücklich und zufrieden sieht sie darauf aus. Die schönsten Aufnahmen hat sie in ein Best-of-Album geklebt, das nimmt sie mit, wenn sie wieder mal unterwegs ist. Dann zeigt sie Michael die Bilder und fragt: "Erinnerst Du Dich daran? Das sind Du und ich in Disneyland". Und er erinnert sich. Jedes Mal.

Michael Jackson weiß, wie viel er seinen Fans bedeutet. Und sie bedeuten ihm genauso viel. Das hingehauchte "I love you" ist keine Floskel, er ist seinen Fans verbunden. Sagt Jennifer jedenfalls. Warum sonst sollte er sie am Tag der ersten Anhörung im Rahmen des Missbrauchsprozesses in Santa Maria im Januar 2004 zu sich auf die Neverland Ranch lassen? Dutzende Fans hat er damals einfach mal so zu sich nach Hause eingeladen.

Kleinod Kopfschmerzpille

"Ich war schon so oft da, hab dann vor dem Tor gestanden und Nachrichten hinterlassen. Reingelassen haben seine Leute mich nie", erzählt Jennifer. Bis zu diesem Tag. Jennifer in Neverland - Jennifer im Wunderland. Zwar ohne sprechende Kaninchen und Spielkarten-Armeen, dafür mit Trampolin, Achterbahn, Pool und Privatzoo. Für die Fans ist es wie einmal Kindsein und zurück. Als Jennifer von der ganzen Fröhlichkeit Kopfschmerzen bekommt, geht ein Angestellter für sie ins Haus und kommt mit zwei Tabletten zurück. Die erste wirkt nicht, trotzdem rührt sie die zweite nicht an. Eine Kopfschmerztablette aus Michael Jacksons Hausapotheke: Näher kann man seinem Idol nicht sein.

Jennifer hockt vor dem riesigen Schrank. Alle paar Minuten greift sie mit sicheren Bewegungen in eines der Fächer, um mir ein weiteres Schmuckstück zu zeigen. Selbst darin suchen darf ich nicht, da sind Jennifers Blicke deutlich. Das hier ist ihr Territorium. Mir wird Einblick gewährt, mitspielen darf ich nicht. Sie steht auf, ihre Hand gräbt ganz hinten nach einem durchsichtigen, herzförmigen Kästchen. Darin: ein Herz-Keks, Süßigkeiten und eine noch verpackte Kopfschmerztablette. Ganz vorsichtig und stolz zeigt sie es mir. Plötzlich ist sie ganz weit weg, ganz nah bei Michael. Sie lächelt. "Das sind Andenken aus Neverland". *Name von der Redaktion geändert

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