SAINT ETIENNE: »FINISTERRE« Gnadenlos sanft und superclever

Auch wenn ihre Melodien bisweilen extrem soft und poppig daherkommen, sind Saint Etienne in Indie-Kreisen seit Jahren populär. Daran wird auch ihr neues Album nichts ändern.

Die Nummer-eins-Hits haben sie regelmäßig verpasst, aber mit ihren supercleveren Popsongs hinterließen Saint Etienne über ein Jahrzehnt lang mächtig Eindruck in der Indie- und Elektronik-Szene. In den Songs des britischen Trios fand auf geheimnisvolle Weise das Beste aus Sixties-Pop, Dancefloor und Folk mit produktionstechnischen Finessen aus dem Hier und Jetzt zueinander. Das gilt auch wieder für das aktuelle sechste Album »Finisterre« (Mantra/Beggars).

Beim Interview in Köln fehlt Sarah Cracknell, die sich zur Zeit in den Disziplinen einer frisch gebackenen Mutter übt: Stillen, Windeln wechseln und kaum Schlafen. »Als wir wussten, dass Sarah schwanger ist, haben wir schnell Termine für die Gesangsaufnahmen gemacht«, erzählt Bob Stanley über das neue Album. Gereicht hat es trotzdem nicht mehr, die Aufnahmen zogen sich über Monate, die Geburt fiel in die letzten Studio-Tage. »Während Sarah 'New Thing' sang, war ich mit dem Baby im anderen Raum«, erinnert sich Pete Wiggs. »Ein sehr friedliches Baby. Scheint Musik zu mögen. Ich würde sagen: Ein hochtalentiertes Genie.«

Pete Wiggs sagt das mit einem Zwinkern in Richtung eigene Band-Geschichte. Anfangs gab es kaum einen Beitrag über Saint Etienne, der zu erwähnen vergaß, dass es sich hier um ausgesuchte Nicht-Musiker handelt. Acid-House- und Fußball-Freaks, Leute, die kein Instrument spielen, dafür aber Regalwände voller seltener Platten ihr eigen nennen. Um so bemerkenswerter, was dann auf dem Debüt-Album »Foxbase Alpha« 1991 zu hören war: Eine Band, die die gerade amtlichen Dancefloor-Formate mit Streichern, Piano-Parts, Dub-Echos und herzhaften Sixties-Melodien locker zu sprengen wusste.

Dem Trio mit der Vorliebe für seltsame Coverversionen (Neil Youngs »Only Love Can Break Your Heart«, »Kiss And Make Up« von der Heavy-Metal-Band The Field Mice) war es fortan vorbehalten, mit intelligent gebastelten Kompositionen immer einen halben Meter neben der Hauptspur des Pop zu fahren. Saint Etienne wurden zu Garanten für nachhaltige moderne Musik mit dem einen oder anderen Hit.

Dazu kommen auch auf dem neuen Album »Finisterre« wieder kurze Wortbeiträge, die, zwischen die Tracks gestellt, als eine Art Metatext fungieren und einfach mal der Interpretation des Hörers anheim gestellt werden. Einer heißt »Gentle and giving, all the rest is treason«, ein anderer: »The world began in Eden and ended in Los Angeles.«

Und das soll keine Anspielung auf Hollywood Babylon oder den Rock?n?Roll Lifestyle sein? »Wir haben nie ein Hotelzimmer verwüstet. Es hätte ja sein können, dass meine Mutter plötzlich vorbeigekommen wäre«, sagt Bob. Pete findet das alles absurd. »Ich bin kein Robert Plant. Wir haben unsere Rock-Tage hinter uns, Mann.«

Was auch nur ein Witz ist. In den Songs der Band schwingen Erinnerungen an alte Schweden (Abba) und große Schwelger (Walker Brothers, Burt Bacharach) mit, die Stücke haben Luft für zwei, den überirdisch schönen Streicherarrangements sei Dank. Und Saint Etienne haben Sarah Cracknell, die Sängerin mit dem Extra-Schmelz in der Stimme, die ins Seichte abzurutschen sich konsequent verkneift.

Die größten Unfälle passieren doch nicht im Haushalt, sondern beim kreuzweisen Bewerben von Film und Musik. Ausgerechnet die Film-Band The Bandits (Schlagzeug: Katja Riemann) coverte den Saint-Etienne-Song »Hobart Paving« in Grund und Boden. Was nicht verhindern konnte, dass das Stück auf dem Soundtrack ein Hit wurde und 1997 an die Spitze der deutschen Charts schoss.

»Zu viert auf Tournee«

Ganz so erfolgreich sind Saint Etienne in England nicht. Ihre neuen Songs haben sie jetzt auf dem Edinburgher Film-Festival vorgestellt, zu jedem Stück gab?s ein Filmchen über London, die Band agierte weitgehend im Dunkeln. »Wir spielten erstmals in einer bestuhlten Halle. Die Leute klatschten artig zwischen den Songs und hörten sofort wieder auf, als ein Filmbild kam. Nachher gefiel uns die Sache auch«, meint Pete, »das Publikum war abgelenkt, und wir konnten in Ruhe spielen.« Im Oktober geht's auf größere Tournee. »Zu viert, wir drei und ein Musiker.«

Tourdaten:

30.10. Berlin (BKA)

31.10., Hamburg (Große Freiheit 36)

Frank Sawatzki

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