Es ist aber auch wirklich ein ständiges Ärgernis mit dem Mann. Der Kerl macht ja, was er will! Und nie das, was er soll. Er könnte verdammt noch mal endlich damit anfangen, den Jazz weiterzuentwickeln! Und mal was ganz Neues machen: vielleicht Jazz mit Rap und Zwölftonmusik kombinieren, unter Hinzufügung eines absichtlich verstimmten Streichquartetts, wobei die Streicher die Noten rückwärts spielen, im, sagen wir, Siebenachteltakt.
Aber Till Brönner spielt einfach Trompete. Und klingt dabei stets so leicht, so einschmeichelnd schön, dass er den Hohepriestern der reinen, deutschen Jazz- lehre noch immer suspekt ist: Darf man in ein und demselben Leben zusammen mit Dave Brubeck und Rosenstolz spielen? Und darf man Brönners Musik, die schön, rein, aber eher ohne Ecken und Kanten daherkommt, eigentlich noch Jazz nennen?
Auf seinem neuen Album "Rio" feiert Brönner mit Gastsängern wie Sérgio Mendes, Annie Lennox oder Aimee Mann brasilianische Volksmusik. Der Bossa nova wird in diesem Jahr 50 Jahre alt, und Brönner erinnert auf "Rio" an dessen ewige Jugend. "Es berührt mich, wie nah sich im Bossa nova Schmerz und Freude kommen", sagt Brönner, "dieser schmale Grat liegt mir sehr." Die fragile Mischung aus Sorglosigkeit, Leichtigkeit, Melancholie und Trauer, die diese Musik ausmacht, ist eben auch Teil seiner Persönlichkeit.
Wer Brönner bisher nicht mochte, wer seine Musik als rückwärtsgewandtes, dezent dahingetupftes Begleitgeplänkel für Cocktailpartys verunglimpfte, wird sich auch durch "Rio" nicht bekehren lassen. Über die immer gleichen Vorwürfe, Brönner feiere stets die Vergangenheit, mache eher Pop als Jazz, fische vornehmlich in seichten Gewässern und wisse nicht, wo er stilistisch hinwolle, kann der 37-Jährige inzwischen eher schmunzeln. Und muss sich dann doch verteidigen: "Ich möchte einfach das Recht haben, mich immer weiter auszuprobieren. Ich mache seit über 20 Jahren professionell Musik. Wer da nicht hört, dass ich mich weiterentwickele, der muss nicht mehr zuhören."
Seine zahlreichen Versuche der Selbsterkundung haben Brönner mit Alben wie "Love", "That Summer" oder "Oceana" zu Deutschlands kommerziell erfolgreichstem Jazzmusiker gemacht. Und auch als Produzent ist Brönner gefragt. Seine Zusammenarbeit mit Starbariton Thomas Quasthoff etwa mündete in dessen wunderbarer CD "The Jazz Album - Watch What Happens". In Quasthoff fand Brönner einen Kollegen, der wie er an leicht verständlicher Musik nichts grundsätzlich Schlechtes finden kann und der Jazz nicht für eine Art Geheimwissenschaft hält, die von Eingeweihten für Eingeweihte im Halbdunkeln zelebriert, von öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern mitgeschnitten und irgendwann samstags nachts gegen zwei Uhr gesendet wird.
"Ich habe überhaupt nichts gegen jenen eher schwer zugänglichen Jazz", sagt Till Brönner, "nur glaube ich, dass Jazz viel mehr ist als Avantgarde. Auch Frank Sinatra hat Jazz gemacht!" Das Gefühl für dieses Genre, in dem es durchaus auch gefühlvoll zugehen dürfe, gehe in Deutschland immer mehr verloren. "Jazz spielt im gesellschaftlichen Leben keine Rolle mehr", sagt er. Und will genau das ändern. Indem er einfach Trompete spielt.