Isabel Lewis - Tanz für alle Sinne Theater, das nach Berghain duftet

Von Larissa Schwedes
Tanzfestival in Berlin. Doch von rosa Spitzentütü und Schwanensee keine Spur. In Lederjacke und High Heels zeigt Isabel Lewis in "Occasion", dass Tanztheater nicht nur Augen und Ohren betört, sondern auch atemberaubend riechen und schmecken kann.

Ich atme tief durch die Nase ein. Was für ein herrlicher Geruch! Feuchte, erdige Luft strömt in meine Lunge. Ich denke an düstere Moorlandschaften. Wenn Tanztheater nur immer so schön wäre! Ein paar Meter rechts von mir hat ein Berliner ganz andere Bilder im Kopf: "Sexy Schweiß, das mag ich." Eine junge Mutter hätte gern genau so ein Parfüm. Das hat der Hutträger ganz hinten nicht nötig: "So rieche ich, wenn ich nach einer langen Nacht aus dem Berghain komme“, sagt er und lacht.

Aus Grau wird Grün

Das ist Tanztheater der anderen Art im Berliner Hebbel-Theater am Ufer (HAU). Eine Windmaschine pustet den Duft durch den Innenhof. Übersät mit tropischen Pflanzen ist er zum grünen Urwald geworden. Unter Palmenblättern zwängen sich hippe Mittzwanziger und Theaterkritiker auf eckig-schlichte Sperrholzbretter, die mehr nach Design-Objekt als nach Sitzmöbel aussehen.

Mittendrin die Frau des Abends: Isabel Lewis dreht an ihren Plattentellern, die Performancekünstlerin hat große Kopfhörer über die wippenden, dunklen Locken gestülpt. Vor dem Eingang warten noch Dutzende Gäste. Ob jemand ein Problem mit Nähe habe, fragt die dominikanisch-amerikanische Dramaturgin schmunzelnd. Kopfschütteln. "Lasst sie rein!“, schallt es von allen Seiten, die Rufe verschmelzen mit ihrer sanften Stimme. Wenige Sekunden später ist jedes Fleckchen Boden besetzt. Und dann geht es los.

Mittendrin statt nur dabei

Ein knisterndes Mikrofon vor der Windmaschine klingt wie Meeresrauschen. Mit schlangenhaften Schnörkelbewegungen schleicht Lewis durch die Reihen, nähert sich meinem Gesicht, durchbricht eine natürliche Schwelle der Distanz. Die Atmosphäre ist intim und doch anonym. Es gibt kein Publikum, jeder ist Teil der Performance. Ich nippe am Kaltgetränk, beobachte Nebenfrau und Nebenmann, komme mit den beiden ins Gespräch, doch immer wieder schweifen meine Blicke zu Isabel Lewis. Ich lausche gebannt, als sie zu erzählen beginnt: von Sokrates‘ Streben nach Liebe und nächtlichen Spaziergängen, die weise machen.

Bevor sie in philosophische Sphären entgleitet, erheben sich die Bässe. Musik durchflutet mich. Die volle Stimme der Künstlerin dringt mit afrikanischen Gesängen in meine Ohren, während die Duftwolke bis in die letzte Ecke zieht. Ich schließe die Augen und lasse mich einfangen. Ferne Länder, Abenteuer, Traumwelten - ich bin überall, nur nicht in einem kargen, deutschen Hinterhof. Tausend und eine Geschichte scheint der Duft zu erzählen, den Lewis gemeinsam mit der norwegischen Geruchsforscherin Sissel Tolaas für ihre "Occasions“ entwickelt hat. Ihr eigener ist tatsächlich inspiriert vom Berliner Szene-Club Berghain: "Meine Empfehlung: Ein völlig bewusster Besuch, ohne Alkohol, ohne Drogen. Einfach von der Nase treiben lassen. Das ist intensiver als jeder Rausch, den es gibt.“

Hochgenuss für alle Sinne

Als ich ins Hier und Jetzt zurückkehre, bewegt sich die junge Frau grazil und geschmeidig auf ihr DJ-Pult zu. Sie fährt die Regler herunter. Meditative Ruhe kehrt ein – und der letzte der fünf Sinne kommt auf seine Kosten: Eine bunte Kreation macht die Runde, ich schmecke Birne mit Minze und rosafarbenem Kokosschaum, der auf meiner Zunge zergeht.

Während langsam die Dämmerung einsetzt, schwärmt Lewis von Sokrates‘ Ideal des reinen Wissens. Die Faszination überträgt sich. Plötzlich muss der griechische Philosoph sterben, es dröhnt laut aus den Boxen. Die Beats werden schneller, abgehackter, Lewis' Bewegungen aggressiver, dabei lasziver. Energie durchströmt die Menge, und ausgelassene Stimmung macht sich breit. Mittanzen oder zugucken? Ich zögere, wippe mit dem Fuß. Lewis ist das egal, sie räkelt sich schon an einer Bananenstaude, die bedächtig mitwippt.

Als die Performance zuende ist, verbreitet sich sich Lewis’ Duft von Kreuzberg aus in alle Richtungen. In Kleidern und Haaren der Besucher verstreut er sich über die Stadt. Dringt in fremde Häuser und Betten, um neue Geschichten zu spinnen. Denn Berghain-Duft hält länger, als Berghain-Nächte dauern...

Auch am 29. August und 4. September um jeweils 19 Uhr lädt Isabel Lewis zur "Occasion“ ins Hebbel am Ufer ein. Tickets sind unter www.tanzimaugust.de erhältlich.

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