Das Fernsehgericht: "Polizeiruf 110" Die Stadt der kaputten Seelen

Von Oliver Creutz
In ihrem zweiten Einsatz müssen die Magdeburger "Polizeiruf"-Ermittler Brasch und Drexler den Tod eines Problem-Jugendlichen aufklären. Auch mit ihrem eigenen Nachwuchs haben die beiden Probleme.

Und nun der Wetterbericht für Sonntag, den 6. Juli 2014: Es soll ein warmer Tag werden, viel Sonne, viel Licht. Und was macht das Erste Deutsche Fernsehen? Es zeigt um 20.15 Uhr einen Krimi, der unsommerlicher nicht sein könnte: "Abwärts", die zweite "Polizeiruf"-Folge aus Magdeburg. Das kennen wir von einigen "Tatort"-Folgen, die antizyklisch Schnee rieseln lassen, wenn draußen die Grillen in der Abendsonne zirpen. Aber so unplatziert wie dieser wirkte schon lange kein Fall mehr. Wenn Ihnen am Sonntagabend heiß sein sollte, brauchen Sie sich nicht vor den geöffneten Kühlschrank zu setzen, schalten Sie einfach die ARD ein.

"Abwärts" ist ein starker Krimi, der die verschiedene Töne von Grau durchmisst. Er beginnt im Dunkelgrau: Die Kommissarin Brasch (Claudia Michelsen) besucht ihren Sohn im Knast. In der ersten Folge hatte sie sich noch mit ihm geprügelt; jetzt herrscht kommunikative Eiszeit. "Heil Hitler, Mama", sagt er, als sie den Besuch beendet. Ein Nazi-Bengel mit hübschem Gesicht. Später erfahren wir, warum er einsitzt; da wird es dann noch ein bisschen grauer.

Drexler hält sich nicht mit Höflichkeiten auf

Es herrscht eine magenbittere Stimmung, die sich am deutlichsten im Gesicht des Kommissars Drexler (Sylvester Groth) zeigt. Drexler ist ein Mensch, der nur direkt kann. Er hält sich nicht mit Höflichkeiten auf, seine Sätze treffen sein Gegenüber wie schnelle Ohrfeigen. Dazu macht er diese Miene, die diese bohrende Verachtung, die in ihm steckt, nicht verbergen will.

Es geht um einen toten Jungen in der Straßenbahn. Wir sehen Kotze und Prügelspuren. Ein Sozialarbeiter (Peter Jordan) ist in den Tod des Jungen verstrickt. Magdeburg erscheint als eine Stadt der Problem-Jugendlichen, der Straßenkinder, und der Streetworker ist in solchen Krimis stets wie ein V-Mann in der Extremistenszenen: tief verstrickt. Der Streetworker, so erfahren wir bald, ist ein ehemaliger Soldat, der im Kosovo diente. Er hält sich in Form, indem er halbnackt Liegestütze im Schnee macht. Der Vollbart steht Peter Jordan übrigens sehr gut, bringt eine Härte in sein Gesicht. Der Streetworker als Streetfighter, der seine Schützlinge ebenfalls zu Kämpfern erzieht, da sie sonst untergehen würden in dieser unwirtlichen Stadt an der Elbe, die so grau durch sie fließt, als trage sie all die kaputten Seelen davon.

"Das Fernsehgericht":

Der Wildwuchs im TV-Dschungel braucht Orientierungs-Schneisen. Was lohnt sich? Was nicht? Die stern-Redakteure Oliver Creutz und Kester Schlenz sichten jede Woche in dieser Rubrik TV-Filme - und richten darüber.

Auch Drexler hat Sorgen mit dem Nachwuchs: Seine erwachsene Tochter ruft ihn um Hilfe, die er ihr widerwillig leistet. Sie wurde von ihrem Freund geschlagen (jeder schlägt jeden in Magdeburg, scheint es, und irgendwann könnten auch die Ermittler aufeinander losgehen), und Drexler stellt den Freund auf handfeste Weise zur Rede. Das ist das große Thema dieses Falls: wie Eltern versagen. Einer der Verdächtigen ist ein Teenager, dessen Vater ihn allein erzogen hat. Sein Vater erklärt den Ermittlern, was er unter Liebe versteht: "Ich habe mich Tag für Tag meinen Pflichten gestellt." Wahrscheinlich ist der Ermittlerin Brasch nicht einmal das gelungen; sie scheint ihren Nazi-Sohn für eine sehr lange Zeit verloren zu haben.

"Abwärts" gelingt Erstaunliches: Wir können den Ermittlern beim Altern zusehen. Sie welken wie Blumen in Autoabgasen. Dieser Krimi ist kein Film Noir, sondern ein Film Gris. Es fehlt nicht mehr viel, dann kommen die Wölfe nach Magdeburg.

Urteil: Ein Krimihighlight, das zur Unzeit versendet wird. Unser Tipp: Aufnehmen und für den Herbst konservieren. Idealerweise sollte beim Zuschauen im Hintergrund ein Kaminfeuer flackern.

"Polizeiruf 110", 6.7., 20.15 Uhr, ARD

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