Nun stehen sie fest, die Top 10 für die erste Motto Show bei "DSDS - Deutschland sucht den Superstar". 15 Kandidaten kämpften am Abend ums weiterkommen, 5 mussten gehen. Vor prächtiger Kulisse wurde gekämpft, geweint, gewonnen, verloren. Und nichts dem Zufall überlassen, auch wenn fünf Anwärter auf den Thron der Vergänglichkeit durch die Zuschauer bestimmt wurden.
"Pippi in den Augen"
Für die 19-jährige Sarah Kreuz schmiss RTL schon vorab die Werbetrommel an. Ihr böser Verlobter Ferdo Hoffmann verlangte die Entscheidung: Liebe oder "DSDS". Keinen Schulabschluss, Arbeitslos aber optisch vorzeigbar, entschied sich Sarah gegen ihren Zukünftigen und für den möglichen sozialen Aufstieg. So viel Engagement im Ausleseprozess muss gelobt werden. So war der Auftritt mit "Listen" von Beyoncé für Bohlen eine "eins plus". Die sonst blasse und durch einen Bruch des Mittelfußknochen gehandikapte Nina Eichinger hatte sogar "Pippi in den Augen", wie Bohlens Aushilfsjuror Volker Neumüller vergnügt feststellte. Dank Einspielfilmchen und emotionaler Hintergrundstory stimmte trotz des eher schwachen Auftritts das Gesamtpaket. Die Zuschauer wählten sie weiter.
Nirgendwo sonst kann im Fernsehdschungel die Evolution des Entertainment besser beobachtet werden. Deshalb ist "Deutschland sucht den Superstar" die erfolgreichste und unterhaltsamste Fernsehshow der vergangenen Jahre - ein Quotengarant. Keine andere Show kann besser in Szene setzen, warum Kandidaten im Durchlauferhitzer der Unterhaltung vor allem eines sind: ein Gebrauchswert mit kurzer Haltbarkeit und hohem Wegwerffaktor. Immer stärker kristallisieren sich Phänotypen heraus, die das Publikum zur Unterhaltung verlangt - welches ja bedient werden muss. Vor allem Bohlen ist ein Meister auf der Klaviatur der medialen Bedürfnisbefriedigung.
Wie ein Frosch auf Ecstasy
So ist es schlussendlich auch nur konsequent, wenn der "Poptitan" dem linkischen und seit zehn Jahren ungeküssten Verwaltungsangestellten Holger Göpfert in der "Bild" eine Frau sucht und ihm scheinbar selbstlos die Arena als Vehikel der Selbstfindung überlässt.
Wie ein Frosch auf Ecstasy hüpfte der beleibte Göpfert im schwarzen Anzug über die Bühne. Die Arme wie ein Bewegungslegastheniker mäandrierend von sich gespreizt röhrt er tief "Oh Darling" von den Beatles. Ein Erlebnis, das an einen Flugzeugabsturz erinnert. "Ozzy Osbourne ist gegen dich ne' Flitzepiepe, der kann sich einsargen lassen", rief Dieter Bohlen begeistert aus und erklärte den unfreiwilligen Junggesellen gleich zu seinem "Freund", für den ganz viele anrufen sollen. Auch das Publikum ist angetan und die Mischung aus Paul Potts und Daniel Kübelböck weiter.
Dass dabei keine echten Stars entstehen, ist dem System geschuldet. Denn es geht um die Show, die Geschichten, die Emotionen - nicht um die Musik. Charles Darwin erschütterte seine Zeitgenossen mit Bemerkungen, dass allein aus dem Kampf der Natur immer komplexere Lebewesen hervorgehen. "DSDS" und die Gesetze der Unterhaltung kehren diese Regel um. Bohlen fordert von seinen Möchtegern-Stars rhetorisch zwar gerne "Ecken und Kanten", aber er hat längst klargemacht, dass Insubordination definitiv unerwünscht ist. Das zeigte schon der Rauswurf von Mit-Juror Max von Thun, der laut Bohlen "keinen Mainstream-Musikgeschmack" hat.
Tragisch wirkte da Ausscheiden von Michelle Bowers (16). Zumindest ihre Story rührte. Ihr Papi aus Amiland ließ sie im Stich als sie zwei Jahre alt war. Die schwer rheumakranke Schülerin lag wegen ihrer Krankheit sogar schon 17 Tage im Koma und versuchte sich vergeblich mit "Almost Lover" von A Fine Frency in die Top Zehn zu singen. "Mein Hamster mit Asthma singt besser", kodderte Bohlen kaltschnäuzig. Solche Skandalsätze sind es, mit denen Bohlen seinen hart erarbeiteten Ruf eines Zynikers poliert. Doch seiner Wertewelt scheint der Vorwurf der Menschenverachtung ins Leere zu gehen. DSDS ist ein Spiel, dessen erste Regel lautet: Das Überleben des Unterhaltsamsten.
"Ich habe Mundwüste"
Auch die Rolle der Annemarie Eichfeld (18) scheint im Drehbuch schon festgeschrieben. Überambitionierte Eltern haben die etwas billig wirkende Ostschönheit aus Dessau schon auf Durchsetzungskraft eingenordet. "Ich vertraue niemandem mehr", raunt sie verschwörerisch im Einspielfilmchen über ihre Mitbewerber. Dann wackelt sie in Lack-High-Heels und blauen Hotpants, die nichts der Fantasie überlassen, zu "Hot'N'Cold" von Katy Perry über die Showbühne. Anschließend beklagte Annemarie: "Ich hab Mundwüste". Und bekundet nach einem Schluck Wasser aus Bohlens Glas: "So jetzt ist alles wieder schön feucht." Ein sicherlich unabsichtlich verrutschter Auftritt. Selbst Bohlen bleibt nur der Kommentar, das "hat ein bisschen was von einer Miss-T-Shirt Wahl".
Doch "Sex sells" heißt ein weiteres der Naturgesetze des Showbiz und deshalb darf Annemarie weiterstöckeln. Ein sicherlich unabsichtliches Nebenprodukt eben dieser Regel ist latenter Sexismus, der sich da mitunter eruptiv Bahn bricht.
So bei Vanessa Neigert (16), die mit "Schöner fremder Mann" musikalisch in die 50er Jahre reiste. Juror Volker Neumüller schoss den Vogel ab, als er sich anschließend verhaspelte: "Egal, wie schlechte Laune ich habe, du schaffst es in Sekunden sie wegzublasen." Irritierendes Lachen im Publikum. Das bringt Frauenversteher Bohlen erst so richtig in Fahrt, der das unschuldig-naive Schlagersternchen Vanessa gleich auf seinen Schoß beorderte und kalauerte: "Du kannst flirten wie eine, die an der Straße steht."
Sexuelle Belästigung als Zuschauergarant
Anstatt gekräuselter Stirn streckte die mit rosa Petticoat und weißem Stirnband angetane Vanessa einfach nur ihr rundes "Krapfengesicht" mit Honigkuchenpferdgrinsen in die Kamera. "Dieters Schoß war schon oft der Anfang einer großen Karriere" ulkte Moderator Marco Schreyl. Bei so viel Unterwürfigkeit macht sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz doch einfach doppelt soviel Spaß.
Für den bisher eher introvertierten Student Tobias Rößler (20) gab es hingegen die Gefahr von zu wenig Aufmerksamkeit. Seine vielschichtige und gute Performance mit "Here without you" von 3 Doors Down wollte nicht so richtig ins "DSDS"-Muster passten. Auch wenn Bohlen noch lobte "Du hattest immer was von einem ostwestfälischen Bezirksfußballer. Heute warst du Bundesliga."
Doch da gibt es ja auch noch den quietschbunten schwulen Friseurazubi Benny Kieckhäben, der am liebsten Frauentitel singt, "Hurt" von Christina Aquilera neuinterpretierte und bis zur Schmerzgrenze verhunzte. Bohlen lästerte treffend: Du hast mich heute an "Tiffy" aus der Sesamstraße erinnert.
Doch die Spielregeln der Selektion funktionieren in der Unterhaltung anders als in der freien Natur. Die einfache Wahrheit sagte Bohlen am Schluss ganz ungeniert: "Wir machen hier eine Show und deswegen haben wir dem Paradiesvogel den Vortritt gegeben." Das Evolutionsereignis ist "DSDS", die "Superstars" auswechselbare Staffage vor glitzernder Grundierung. Bei solchen Göttern kann man Darwin richtig lieb gewinnen...