Zugegeben: Man hat schon diese Antihaltung, als er reinkommt durch die knallrote Bühnentür. Wieder dieser Karoanzug, wieder das Monokel auf der Brust, wieder dieses "Ihr liebt mich doch alle"-Grinsen. Der Applaus ist groß, die Kritikerbegeisterung klein. Das war Thomas Gottschalk am Ende von "Wetten, dass…?". Nun hat ihn im Vorabendprogramm der ARD auch noch der Applaus verlassen. Und an diesem Sonntagvormittag im altehrwürdigen Deutschen Theater, wo einst der große Max Reinhardt die Welt deutete, soll Gottschalk auch erklären, wie sich das anfühlt. "Gregor Gysi trifft Zeitzeugen" heißt die Veranstaltung, wo der eloquente Linken-Chef schon Hape Kerkeling und Armin Müller-Stahl zum Reden gebracht hat. Der Politiker wird dabei zum Stichwortgeber, der anstupst, ohne zu lenken, und seine Gäste sich selbst einordnen lässt als Deutsche, als Künstler, als Personen von öffentlichem Interesse.
Gottschalk hat Chuzpe, sich knapp einen Monat vor seiner offiziellen Absägung als TV-Star diesem scharfzüngigen Denker auszusetzen. Denkt man. Dann kommt es anders. Denn Gottschalk ist ein Showbiz-Gladiator, der sich in der Arena auskennt.
Wer Böses denkt
Zuallererst macht er die anwesenden Journalisten zu Aussätzigen. In Sekunden hat er das Publikum auf seiner Seite gegen die "schwarzen Vögel", die nie klatschen, alles falsch verstehen und aus dem Kontext reißen. Denen es - und das ist mit Gottschalks Existenzverständnis schlicht nicht zu vereinbaren - an Lebensfreude mangelt. "Wenn Sie was Böses schreiben, werden wir sauer", sagt dann auch eine ältere Dame in freundlichem Orange beim Hinausgehen.
Gysi rollt Gottschalk von hinten auf: Flüchtlingskind, Nachkriegsdeutschland, früher Tod des Vaters, finanzielle Not, das Leben in der Provinz. Mit einer Pirouette und wehendem Haar federt Gottschalk die Bälle zurück. Jedes Wort sitzt, die Vergangenheit ist detailreich präsent, aber ohne jeden Widerhaken. Kein Knacks, keine Probleme nirgends. Er habe kein Trauma verspürt, aber die Konsequenzen getragen, sagt der 1950 geborene Bamberger und beschreibt sein von Anfang an gelebtes Motto: "Hier bin ich, hier komm ich. Nehmt mich oder lasst es. Die meisten haben mich genommen." Lachen als Lohn.
Gottschalk erzählt von Kleidern aus der Altkleidersammlung, die in Kombination mit seinem Talent, "immer das Beste draus zu machen", der Trigger für seine Begeisterung an ungewöhnlicher Mode gewesen seien. Seine Karrieregeschichte flackert vorbei, garniert von Gottschalkschen Zwischenrufen, Bonmots, Witzen, mit der berühmten Schlagfertigkeit, so dass man sich fragt, was zum Teufel los ist in der Vorabendshow, die Deutschlands größtem Fernsehstar laut Medienmeinung mindestens das Genick gebrochen hat.
Der ehrliche Thommy
"Das große Glück meiner gesamten Karriere war, dass ich immer im richtigen Moment das Richtige machen durfte", sagt der 61-Jährige. Die Radiosendung "Pop nach acht" (Bayern 3, 1976 bis 1980) als Stimme der Jugend in einer Zeit, als man zum Lachen in den Keller ging. Der Durchbruch im Fernsehen mit "Na sowas!" (ZDF, 1982 bis 1987) - Talk und Musik angesichts des "ganz normalen Wahnsinns" des Alltags. Er erzählt vom Rock'n'Roll, den er verinnerlicht und über die Zeit gerettet hat, lila Samtsofas im Büro und der unterhaltsamen Diskrepanz zwischen seiner gutgelaunten Indifferenz und dem professionellen Ernst seines Kollegen Günther Jauch, den er mitentdeckt und gefördert hat. Gottschalks Karriere entfaltet sich als Aneinanderreihung von Tabubrüchen und Grenzüberschreitungen, die jedes Medium, in dem er unterwegs war, vorangebracht, geöffnet, entspannter gemacht haben. Das ist interessant in einer Zeit, da jeder Bruch nur noch Inszenierung ist - von der Castingshow-Hölle über Lady Gaga bis Günther Grass. Und plötzlich hat Gottschalk, der da neben Gysi gelöst und glücklich im kubistischen Ledersessel fläzt, seine Glaubwürdigkeit zurückerobert. Er sei eben ein "Hanswurscht". Und es klingt zutiefst ehrlich, als er sagt: "Ich bin weder arrogant noch überheblich, aber ich bin mir meiner Sache sicher". Da wundert man sich mit ihm zusammen über das Vorabendfiasko.
Charmant und unterhaltsam erzählt Gottschalk von diversen Sprüngen in Fettnäpfchen, die immer wieder Wannen waren, schwärmt von Günther Jauch und Harald Schmidt und findet leichtfüßig die Balance, die ihm in "Gottschalk Live" doch so sehr abgeht. "Man muss ihn reden lassen", zischt ein Mann zwei Reihen weiter hinten. Und wirklich niemand nimmt "Thommy" den Satz "Ich mag jeden Menschen, der an mir Interesse hat" übel. Was soll man denn auch gegen diese kindliche Freude an seiner Umwelt einwenden? Seine Gabe sei es, Dinge, die die Welt nicht braucht, gut zu verkaufen, erklärt er mehrfach. Inzwischen erscheint das Eindreschen auf den "gefallenen Übermoderator" nur noch albern angesichts dieses hervorragenden Talents. In was für einer Zeit leben wir, wenn eine ganz Karriere wertlos wird, weil man ein Mal scheitert? "Bei mir geht es um nichts", wer seid ihr, mir das vorzuwerfen, ist die Botschaft von der Bühne. Und das Publikum nimmt sie dankbar auf. "Ich bin gut, wenn ich überhaupt nichts weiß." Was eine glatte Lüge ist, denn er blickt zurück und versteht sehr genau, was er sieht - sei es die Wahl von Michelle Hunziker als Sidekick oder der Unfall von Samuel Koch.
Der Rock'n'Roll
Gottschalk präsentiert sich als Bauchmensch mit Lust an Seifenblasen. "Die Tragik meines Scheiterns ist, dass ich nicht mit dem gescheitert bin, was ich eigentlich machen wollte", erklärt er. Wut über die Verantwortlichen kommt auf. "Ich habe mich nie gefunden", sagt Gottschalk. "Das hätte auch ein anderer moderieren können." Trauer. "Ich bin das Ergebnis einer Fehlplanung, mal sehen wie es jetzt weitergeht."
Gysi wünscht ihm alles Gute. "Wir sind doch alle Rock’n’Roll!", sagt Gottschalk, packt den langen, warmen Applaus ein und geht mit einem Strahlen.