Kühn kuckt - die TV-Kolumne Wahre Schönheit kommt von innen

Bekannt wurde Tetje Mierendorf als "Mein großer, dicker, peinlicher Verlobter" - als "Glücksvollzieher" beschenkt er jetzt seine Mitmenschen. stern-Redakteur Alexander Kühn hat die neue Doku-Soap von Kabel Eins vorab gesehen.

Ein mieser Charakter ist verwerflicher als schiefe Zähne, die Tränensäcke des Gegenübers sind für die Mitmenschen leichter zu erdulden als arschiges Verhalten oder talentfreies Walten. Ohnehin sollte man nicht vom Äußeren aufs Innere schließen. Vielmehr sollte uns jeder Mensch Hoffnung machen, der trotz sicht-, hör- oder spürbarer körperlicher Defizite zu Berühmtheit gekommen ist: der hängelidrige Karl Dall, der großmäulige Maddin Schneider, der fiesvisagige Herr Balder, der mickrige Hoecker. Körperliche Defizite haben so manche Fernsehkarriere begünstigt. Manch merkwürdiges Verhalten wäre auch entschuldbar, wüsste man von etwaigen körperlichen Gebrechen der prominenten Protagonisten.

TV-Star trotz Gesichtslähmung, Krätze und dicken Backen

Vielleicht, wir spinnen jetzt mal rum, ist es eine Gesichtslähmung, die Heino Ferch zu seinem schwer erträglichen Null-Mimik-Null-Bock-Spiel zwingt. Womöglich leidet Jörg Kachelmann unter wüster Krätze, deren Anblick uns noch mehr abstieße als der Fusselbart, der des Meteorologen Gesicht zuwuchert. Gut möglich, dass Ulrich Wickert zur Unterzuckerung neigt, weswegen er, auch das ist jetzt nur eine Vermutung, stets ein Käsebrötchen in seinen Backentaschen bunkerte, wodurch seine Aussprache in späten "Tagesthemen"-Jahren zunehmend an die von Gerd Ruge erinnerte. Schön, dass auch sie alle einen Job gefunden haben!

Man sollte sich auch nicht dazu verleiten lassen, dicke Menschen zu verurteilen, pauschal und aus rein ästhetischen Gründen. Ottfried Fischer nicht. Tine Wittler und Hella von Sinnen nicht. Auch nicht Tetje Mierendorf, Schauspieler und Sänger, 1,97, Konfektionsgröße 74, drei Zentner. Bekannt geworden durch eine Doku-Soap auf Sat.1 namens "Mein großer, dicker, peinlicher Verlobter". Von heute an, montäglich um 21.15 Uhr, wird er auf Kabel Eins Menschen glücklich machen. "Der Glücksvollzieher" heißt die Doku-Soap; um für sie zu werben, hat der Sender Dosen mit Klee an die Redaktionen geschickt, vielen Dank an dieser Stelle, gedeiht prächtig.

150 Kilo Fleisch gewordener Humanismus

In der ersten Folge wendet sich Tiffany, 20, an den Glücksvollzieher, Bürokauffrau - und Hammerwerferin. Am 21. Mai 2005, bei den Halleschen Erdgas-Werfertagen, trug sie die Startnummer 13 - ihr Geschoss traf einen Kampfrichter mitten ins Gesicht, den Medizinstudenten Johannes. Gesichtsschädel-Verletzung. Lernschwierigkeiten als Folge.

Glücksvollzieher: "Hast du ein schlechtes Gewissen?" Tiffany: "Ja, auf jeden Fall." Glücksvollzieher: "Hast du ihn im Krankenhaus besucht?" Tiffany: "Nein." Warum sich die junge Dame nicht einmal mit ein paar Zeilen oder telefonisch bei dem armen Jungen gemeldet hat, bleibt im Dunkeln. Aber Tiffany will jetzt alles wieder gut machen. Für ihr Opfer hat sie beim Dicken einen Tag voller Glück bestellt. Also darf Johannes nach München reisen, mit seinem besten Freund. Bei einem Preisausschreiben hat der das angeblich gewonnen, das ist der Vorwand. Dort lernt er beim Friseur zufällig den Top-Model-Betreuer Bruce Darnell kennen, dem zufällig ein männliches Model abgesagt hat, für ein zufällig für diesen Tag angesetztes Shooting. Also posiert Johannes an seiner statt, und zwar in einer Uniform aus der Serie "Star Trek", deren glühender Fan er zufällig ist, und dann darf er die auch noch behalten, Geschenk von Bruce. Und in der Limousine, die ihn durch München bugsiert, findet er zufällig ein Handy, das dem Manager von Rosenstolz gehört, die zufällig seine Lieblingsband ist. Der Manager ist dem Finder zufällig dankbar und setzt ihn fürs nächste Konzert auf die Gästeliste.

Tetje Mierendorf möge uns ein zweifaches Vorbild sein: Statt sich von seiner Fettleibigkeit seelisch erdrücken zu lassen, machte er sie sich zunutze; auf der Sonnenseite des Lebens angelangt, lässt er Menschen, mit denen es das Schicksal nicht so gut gemeint hat wie mit ihm, an seinem Glück teilhaben - 150 Kilo Fleisch gewordener Humanismus.

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