Nach 23 Jahren "Wetten, dass..?" Adieu, Thommy

  • von Sylvie-Sophie Schindler
In seiner letzten "Wetten, dass..?"- Sendung spielte Thomas Gottschalk wie üblich den Clown. Tränen tabu. Ein bisschen rührselig war's trotzdem. Und er lieferte eine Überraschung.

Plötzlich steckt man mittendrin in der Gefühlsduselei. Doch, Moment mal, so war das nicht geplant. Rührselig werden, bloß weil Thomas Gottschalk zum letzten Mal bei "Wetten, dass ..?" ins Rennen geht - ist doch lächerlich. Man hat schließlich auch ganz gut ohne ihn gelebt. Und wenn einem ausnahmsweise an einem Samstagabend der ewigblonde Showmaster ins TV-Bild lief, weil das eben beim Zappen durchaus passieren kann, so war das in der Regel mindestens so aufregend wie die Outfits von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Man hatte dann und wann das Gefühl, und zuletzt immer öfter, sich an ihm, dem Dauergutgelaunten, satt gesehen zu haben.

Im Grunde aber ist das nur die halbe Wahrheit. Denn es gibt auch den Thommy, jovial, wie wir Deutschen ihn nennen, der einem richtig ans Herz wachsen kann und gewachsen ist. Klingt kitschig, zugegeben. Klingt auf jeden Fall auch nach besseren Zeiten. Damals beispielsweise, in den achtziger Jahren, und daran werden sich alle erinnern, die im Süden dieser Republik, in Bayern, aufgewachsen sind. Gottschalk moderierte im Hörfunk die "B3-Radioshow". Im ersten Teil der Sendung klemmte er sich hinters Mikrofon, von 14 bis 16 Uhr, dann übergab er an Günther Jauch. Und diese Minuten der Übergabe waren jedes Mal ein Highlight. Humor, wie man ihn heute lange suchen muss. Man hätte es sich, und das ist nicht übertrieben, nicht vorstellen können ohne die beiden.

Gottschalk, der Garant für Geborgenheit

Und dann saßen die Zwei, der Gottschalk und der Jauch, in eben dieser Abschiedssendung auf der legendären "Wetten, dass..?"-Couch. Und wie sie so miteinander redeten, lässig, locker, vertraut, kommen, schwupps, die Erinnerungen an alte Radio-Tage wieder hoch. Der Gottschalk, mag man sich beizeiten auch noch so ärgern über ihn, ist halt nicht irgendwer. Für viele Menschen in dieser Republik ist er unter anderem auch ein Teil der eigenen Jugend. Für andere ist er der Mann, mit dem sie es sich in ihren Wohnzimmern ganz heimelig machen konnten. Der Garant für Geborgenheit. Wenn gerade gar nichts mehr richtig läuft im Leben, eines ist sicher: Der Mann mit dem Blondhaar ist gut drauf.

Mit seinem Weggang wird auch klar, was man sonst nicht so gerne denkt: Alles geht mal zu Ende. Im Grunde bedauert man nicht das Scheiden eines Moderators, sondern letztendlich seine eigene Vergänglichkeit - inklusive Grauhaar, Falten und Co. Psychologisches Blabla? Mitnichten. Forscher kennen dieses Phänomen. Beispielsweise die kollektive Trauer nach dem Tod von Lady Di. Laut Experten wurden Millionen Tränen nur deshalb vergossen, weil ins Bewusstsein rückte, dass irgendwann das eigene Haltbarkeitsdatum überschritten ist. Und nicht, weil einem eine Prinzessin fehlt, die man selbst nie kennen gelernt hat.

24 Stunden Bedenkzeit für Günther Jauch

Zurück zu "Wetten, dass..?", die 151. Sendung, diesmal aus Friedrichshafen. Gottschalk selbst hatte keine Lust auf irgendwelche Sentimentalitäten. "Frauen stellen Riechkerzen auf. Ich aber bin lustig", so Gottschalk. Schließlich gäbe es nicht mehr viele von seinem Schlag: "Ich bin der letzte Clown, der rumläuft. Berlusconi ist weg, Gaddafi ist weg." Doch ist wirklich alles nur ein großer Spaß? Wie ist es beispielsweise einzuordnen, dass Gottschalk, dessen Nachfolge immer noch nicht geklärt ist, seinen Spezl Günther plötzlich fragte: "Willst du zusagen als Moderator von "Wetten, dass..?" Jauch darauf: "Wenn ich es mir überlegen dürfte." Man einigte sich auf eine 24-stündige Bedenkzeit. "Morgen abend um 20.15 Uhr bei mir, der große Jahresrückblick auf RTL. Du kommst zu mir und wir besprechen das in aller Ruhe", meinte Jauch. Unverschämte Eigenwerbung? Eine Inszenierung der Quote wegen? Riecht extrem verdächtig danach. Oder ist an der Sache sogar etwas dran?

Ein erneuter Blick in die Vergangenheit zeigt, dass Gottschalk schon immer den Weg in Jauchs Karriere beeinflusste, was dieser am Samstagabend auch selbst verriet: "Thomas hat mich in die Unterhaltung reingequatscht." Und er hat immer Qualitäten an "Günthi" gesehen, wo sie zunächst sonst keiner sah. Etwa in den 70er Jahren in Thommys Radiosendung "Pop nach 8 bis Mitternacht". Da sandte er Günther Jauch an Fasching zu diversen Münchner Discos. Doch der scheiterte an jedem Türsteher - live im Radio. So lernten die Hörer einen Mann mit einem besonders komischen Talent kennen.

Ohne Moderationskarten und Merkzettel

Dass Günther Jauch kokett in Schauspielerinnen-Dekolletées schielt, mit Meat Loaf busselt und sich gibt, als wäre er Jack Nicholsons bester Kumpel, mag man sich kaum vorstellen. Aber lassen wir das mit dem vermeintlichen Erbe. Es hat nämlich endlich mal wieder richtig Spaß gemacht, Günther Jauch zuzugucken. Wenn er so ganz ohne Moderationskarten an den Start geht, dann kommt eine Lockerheit zutage, die man während seiner krampfhaften Polit-Talkshows fast schon vergessen hat. Tipp: Zukünftige Moderationskarten einfach verbrennen. Auch Thommy wagte sich zum Abschied ohne Merkzettel an die Sendung. "So wie ich es in den ersten zehn bis fünfzehn Jahren gemacht habe", sagte der Show-Riese. Stichwortgeberin an seiner Seite: Co-Moderatorin Michelle Hunziker. Wie immer im sexy Outfit, wie immer verschwenderisch mit Sätzen, die die Welt nicht braucht. Wenigstens ist's vertraut, genauso wie die Sitte, internationale Stars bereits vor Ende der Sendung zu verabschieden, damit sie es noch rechtzeitig zum Flieger schaffen.

So verließ die Runde zunächst Lenny Kravitz und etwas später Jessica Biel. Was blöd war für Karl Lagerfeld, denn ausgerechnet mit der Hollywood-Aktrice hatte der sich blendend unterhalten - und dabei nur wenig von der Show mitgekriegt. Kaum zu übersehen also, dass der Modezar extrem gelangweilt war. Damit war er wohl nicht alleine, denn Til Schweiger tauschte zwischendurch SMS mit seiner Tochter aus. Irgendwann konnte er diese Neuigkeit noch loswerden: Er werde neuer Tatort-Kommissar in Hamburg. Iris Berben, auch TV-Kommissarin, überreichte Thommy Handschellen. Ein Symbol. "Ich würde dich am liebsten an diese Wettcouch ketten", sagte die Schauspielerin. "Ich vermisse Dich." Wenn es nach ihr ginge, solle Gottschalk einfach weitermoderieren. Ein Abschiedsgeschenk gab es auch von Star-Basketballer Dirk Nowitzki: ein bereits getragenes Spieler-Outfit. Gottschalk war hin und weg über den "weltberühmten Schweiß, der da drin steckt".

An Schweiß sollte es auch sonst nicht mangeln. Denn die Wettkandidaten kamen hübsch ins Schwitzen. Etwa ein 15-jähriger, der 120 Teelichter in 120 Sekunden mit seiner Zunge löschte. Dazu Thommys legendärer Hinweis: "Bloß nicht zuhause nachmachen." Dann der Mann, der WC-Spülungen am Geräusch erkannte. Oder der Mountainbiker, der im verschneiten Ischgl gegen einen Snowboarder antrat. Oder eine Golfspielerin, die Golfbälle in einen Basketballkorb schoss. Oder Nadine, die alle Gottschalk-Outfits der jeweiligen Sendung zuordnen konnte. Wettsieger wurde Daniel Langemeyer aus Mettingen, der es schaffte, 48 Menschen auf einem zwei Quadratmeter großen Tisch per Salto zu befördern, wo alle sich wie auf einem Haufen sammelten.

Ohne Kandidaten keine Show

"Die Kandidaten mit ihren Ideen haben die Sendung am Leben gehalten und mir meine Karriere ermöglicht", resümierte Gottschalk in seinen Abschiedsätzen. Denn ja, obwohl er nicht auf die Tränendrüse drücken wollte, rührig war es am Schluss der Sendung doch. "Ich danke auch dem Publikum. Und, wenn auch mit knirschenden Zähnen, meinen Kritikern", so Gottschalk - sein Team aber erwähnte er, warum auch immer, nicht. Er sei, so der Moderator weiter, Unterhalter mit Leib und Seele. Unterhaltung aber solle man auf keinen Fall ernst nehmen. Und sich selbst auch nicht: "Es kommen andere."

Allerdings, und damit spielte er auf seinen Einstieg bei der ARD ab 23. Januar an, wo er die Vorabendshow "Gottschalk live" moderiert, so ganz könne er seinen Hut nicht nehmen: "Wenn ich aus dem Scheinwerferlicht verschwinden würde, hätte ich ein Problem." Gut so. Denn irgendwie mag man den Gottschalk plötzlich nicht so richtig gehen lassen. Aber vielleicht ist dieser Gedanke auch nur einer temporären Gefühlsduselei geschuldet. Und morgen ist's wieder vorbei.

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