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TV-Kritik zum "Tatort" Ein Wüstensohn zwischen Klischees und Realität

Ein schnöseliger Prinzensohn aus dem Nahen Osten wird in einen Mord verwickelt, doch die Kommissare scheitern an der Diplomatie. Und der München-"Tatort" an seiner Klischee-Dichte. Die ARD wiederholt diese Krimi-Folge von 2014 am Sonntag.
Von Swantje Dake

Irgendwann wird es selbst Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) zu viel. Dieser an sich in sich ruhende Kommissar, der stets seinen Kollegen Ivo Batic (Miroslav Nemec) zur Räson ruft, holt aus und verpasst Konsul Abdel Saleh (Samir Fuchs) eine Ohrfeige. Oder: A Watschen - wie die "Tatort"-Kommissare aus München sagen würden.

Zu diesem Zeitpunkt musste sich der Zuschauer bereits knapp eineinhalb Stunden anschauen, wie der Konsul die beiden Ermittler nach allen Regeln der diplomatischen Kunst an der Nase herumgeführt hat. Denn bei einem Mord in diplomatischen Kreisen kann die deutsche Polizei noch so gut ermitteln - sie ist machtlos.

  • Der fünfte Sohn des Emirs, Nasir al Yasaf (Yasin el Harrouk), rast mit überhöhter Geschwindigkeit (vorsichtig ausgedrückt) im Lamborghini durchs nächtliche München - kann man nichts machen
  • Auf dem Beifahrersitz sitzt sein Freund Karim, tot, - kann man nichts machen, nur bis zum Morgen und dem Auftreten des Konsuls warten
  • Bei der Hausdurchsuchung findet man einen Laptop mit Bildern und Drogen - kann man nichts machen, zumindest offiziell nicht
  • Nasirs Freund Henk (herrlich verplant gespielt vom Ochsenknecht-Sprössling Wilson Gonzales) kokst in der Öffentlichkeit - kann man nichts machen
  • Die Studentin Michaela (Morgane Ferru), die erst mit Nasir, dann mit Karim zusammen war, weiß mehr als sie sagt - kann man nichts machen, wenn die Männer des Konsuls schneller sind
  • Verwicklungen in die bayerische Politik und die deutsche Wirtschaft werden deutlich - kann man nichts machen, denn der Konsul sitzt auch dort am längeren Hebel

Münchner Tage des Gaddafi-Sohns

Das löst Unmut bei den Kommissaren aus, aber ist von der Realität nicht weit entfernt. Der Fantasie der Drehbuchautoren Alexander Buresch und Matthias Pacht ist nur der Name des Herkunftslands von Konsul, Mordopfer und Emir-Sohn entsprungen: Kumar. Sonst erinnert der Fall "Wüstensohn" sehr an die Episode des Gaddafi-Sohns Saif al Arab, der jahrelang in München lebte und recht unbehelligt blieb - trotz Schlägereien und Rasereien ohne Führerschein.

Immer wieder streuen die Drehbuchautoren Anspielungen an die Gaddafi-Sohn-Jahre ein: Nasir prügelt sich in einer Nobel-Disko, wenn er Auto fährt, missachtet er sämtliche Verkehrsregeln, in seinem Laden wird nur vordergründig mit Teppichen gehandelt, im Untergeschoss findet sich ein Umschlagplatz für Waffentechnik. Auch die ständigen Essenseinladungen von Nasir an die beiden Kommissare ist ein solcher Seitenhieb. Speiste der damalige Polizeipräsident Wilhelm Schmidbauer mit dem Gaddafi-Nachwuchs im "Bayerischen Hof".

Und nicht nur an die Gaddafi-Ära erinnert der "Tatort". Nasir will seinem Emir-Vater zum 70. einen Leopard-Panzer schenken. Er hat ja sonst schon alles. Ein Schelm, wer dabei an die umstrittenen Rüstungsdeals mit Saudi-Arabien denken muss.

Heitere Dialoge, öde Klischees

Zwischen diesen geschickt verstreuten Anspielungen ist der Münchner "Tatort" ungewohnt rasant und schnell. Vor allem die Anfangsszene erinnert eher an eine Schweiger-Folge als an die zuweilen stark sozialkritischen Episoden aus der bayerischen Landeshauptstadt. Auch das Duo Leitmayr-Batic lässt den Zuschauer schmunzeln:

"Wofür brauchen die Scheichs eine U-Bahn?" "Weil es oben so staubt."

"Ich kenn dich als Rassisten, aber gegen Araber ist mir neu."

"Warum nimmst du das Angebot des Emirs nicht an? Machen doch die Fußballprofis auch: Im Herbst ihrer Karriere gehen sie noch mal in die Wüste zu den Scheichs."

Leider gibt es aber zu viele Momente, in denen das Lächeln des Zuschauers gefriert - beim Anblick der Klischee-Dichte: ein Kamel im Vorgarten, tiefverschleierte Frauen, die goldene Schuhe kaufen, die Freunde des Prinzen ballern zum Zeitvertreib mit Maschinengewehren rum, barbusige Blondinen liegen auf Sofas und im Pool, Bedienstete werden vom Prinzen mit Füßen getreten und natürlich handelt er mit Teppichen. All das wäre nicht notwendig gewesen, um den "Tatort" unterhaltsam und realitisch zu gestalten.

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