Es war ein Gefühl, wie ich es von einer TV-Serie sonst nicht kannte. Wenn die Cellos einsetzten und die Kamera über die mechanische Nachbildung von Westeros flog, war die Vorfreude jede Woche aufs neue geweckt. "Game of Thrones" - das war das letzte echte TV-Abenteuer, in dem wirklich alles passieren konnte. Bis dann der Unfug der letzten Staffeln mir wirklich jeden Spaß an Jon Schnee und den unzähligen anderen Figuren raubte. Selbst von vorne anfangen möchte ich nicht mehr, es wirkt sinnlos. Und trotzdem war ich vorsichtig optimistisch, als ich die erste Folge des Spin-offs "House of the Dragon" begann. Und das offenbar zurecht.
Denn das Gefühl ist zurück. Spätestens als ein Drache über Königsmund kreist, eine sehr hellblonde junge Frau in Leder absteigt, ist schnell vergessen, dass die letzte Staffel von "Game of Thrones" einen sehr schlechten Geschmack im Mund hinterlassen hatte. Die junge Frau ist natürlich nicht die "Game of Thrones"-Hauptfigur Daenerys Targaryen, an die sie sicher nicht aus Versehen enorm erinnert. Sondern ihr Urahnin Rhaenyra, Tochter das aktuellen Königs Viserys. Und der Mittelpunkt eines neuen, gewohnt von Intrigen, Sex und Gewalt geprägten Wettbewerbs um den Thron.
Neue Gesichter, altes Gefühl
Denn Fans werden sich von Anfang an wie Zuhause fühlen. Vom wohlig-schaurigen Thronsaal mit dem Eisernen Thron - allerdings mit noch mehr Schwertern gespickt -, über den roten Bergfried über Königsmund bis zu den Kleidern, den sehr grafischen Sex- und Gewaltszenen und sogar den Gesichtern: Würde man nur mit halbem Auge hinschauen, könnte es sich auch um "Game of Thrones" handeln, was da gerade über den Bildschirm flimmert.
An einigen Stellen wurde das fast schon ein wenig zu viel zelebriert, die erste Folge ist geradezu gespickt mit Nackt- und Sex-Szenen, eine Rede wird mitten in einer Orgie gehalten. Ein Pärchen muss währenddessen gar in Hündchenstellung ausharren. Auch der Blutfaktor ist hoch, eine Szene ist so hart, dass ich kurz pausierte. Und dabei bin ich alles andere als empfindlich. Wer die Vorgänger-Serie wegen Sex und Gewalt schätzte, dürfte auch diesmal auf seine Kosten kommen.
"House of the Dragon": So stylisch war die Premiere in London

Ob das auch für die legendären Intrigen und Twists gilt, wird sich zeigen müssen. Die Figuren selbst erscheinen seltsam vertraut. Ob Rhaenyra, die optisch an Daenerys und charakterlich in der ersten Folge an eine Mischung aus Arya und Sansa Stark erinnert, ihr böser Onkel Daemon, der die beiden Lennister-Brüder Thyrion und Jamie mit dem typischen Targaryen-Look sowie der Blutlust eines Ramsey Bolton vereint oder der an den weisen Ser Davos erinnernde Hauptmann der Königsgarde, Ser Harrold Westerling: Vom Casting bis zu den Dialogen würden sie alle sofort auch in die Hauptserie passen.
Rückkehr zur alten Stärke
Die Macher haben offensichtlich sehr viel Wert darauf gelegt, die Fans abzuholen, sie sollen sich gleich wohlfühlen. Für die erste Folge ist das durchaus in Ordnung, schließlich muss man sich durch das Gewirr neuer Figuren, ihrer Freund- und Feindschaften arbeiten. Die erste Folge macht dabei einen guten Job, die zahlreichen Konfliktlinien zu ziehen und Grundsteine für den Rest der Serie zu legen. Dabei kommt durchaus die starke Charakterisierung des Schöpfers George R.R. Martin zum Tragen, der bei der Serie wieder aktiver mitgearbeitet hat, als am Ende von "Game of Thrones". Viele Charakterisierungen sind subtil, finden sich in kleinen Details und dem, was gerade nicht gesagt wurde. Wie schon in den Büchern finden sich viele Hinweise, die man später als wichtig erkennen dürfte. Und deren Bedeutung uns jetzt noch verborgen bleibt.

So sehr die Nähe zum Vorgänger mir die Rückkehr nach Westeros schmackhaft macht: Auf Dauer wäre es aber etwas wenig, genau dasselbe weiter zu führen. Zumal das Ende der Geschichte eigentlich schon in "Game of Thrones" erwähnt wird. Für den Lauf der Serie wünsche ich mir von "House of the Dragon" daher, dass es sich etwas mehr emanzipiert, eine eigenere Stimme findet. Nach der ersten Folge muss ich aber sagen: Ich bin gespannt, wie es weitergeht. Die verlorene Vorfreude auf die nächste Folge, sie ist wieder da. Und das ist weit mehr, als ich am Ende über den Vorgänger sagen konnte.
Eine neue Folge von "House of the Dragon" ist in Deutschland wöchentlich bei Sky (Montags 20:15) zu sehen oder bei der Streaming-Tochter Wow TV abrufbar.