Sissi Doert ist Altenpflegerin und Instagram-Influencerin. Sie bedauert, sich mit ihren Patienten, die meist alt und einsam sind, nicht auch mal kurz unterhalten zu können.
Die 25-jährige Sissi Doert ist Altenpflegerin, Mutter und Influencerin. Auf Instagram klärt sie junge Frauen darüber auf, dass es keinen idealen Körper gibt. Über ihren Online-Erfolg spricht sie bei der Arbeit nicht. "Da haben die Bedürfnisse meiner Patienten die höchste Priorität", sagt sie.
"Meine Arbeit macht mir Spaß" – das kann wahrlich nicht jeder von sich behaupten. Doch Sissi Doert liebt ihren Beruf. Davon hat sie sogar gleich zwei. Die 25-Jährige macht eine Ausbildung zur Altenpflegerin und ist Influencerin. Auf Instagram folgen ihr 187.000 Menschen. Die Sauerländerin ist auch Mutter einer sechsjährigen Tochter. Wie sie ihren anstrengenden Beruf, das Leben als Influencerin und das Muttersein unter einen Hut bekommt, erzählt sie NEON im Interview.
Wie kamst du dazu, Altenpflegerin werden zu wollen? Ich wusste lange nicht, was ich beruflich machen soll. Meine Cousine hat mir oft erzählt, wie viel Spaß ihr ihre Arbeit macht – sie ist Altenpflegerin im dritten Lehrjahr. Der Punkt, an dem ich mich entschieden habe, die Pflege auszuprobieren, kam, als ich selbst im Krankenhaus lag. Ich hatte mit 24 Jahren eine Knie-OP und wurde von einem männlichen Pfleger gepflegt, was mir total unangenehm war. Aber nach drei Tagen habe ich gemerkt, dass gar nichts peinlich daran war. Also habe ich entschieden, es selbst mal auszuprobieren. Ich habe direkt nach einem Praktikum gefragt. Das hat mir total gut gefallen und dann habe ich vor anderthalb Jahren die Ausbildung zur Altenpflegerin im ambulanten Bereich begonnen.
Wie sieht dein Arbeitsalltag aus? Im ambulanten Pflegedienst betreuen wir Menschen bei sich zu Hause. Wir haben auch externe Einsätze, zum Beispiel in der Psychiatrie, im Krankenhaus oder Altenheim. Im Durchschnitt sind die Patienten zwischen 70 und 90 Jahre alt. Sie haben verschiedene Krankheiten, zum größten Teil sind sie aber einfach alt und hilfsbedürftig. Wir beginnen den Tag damit, unsere Sachen zu packen. Medikamente, Verbände, Schlüssel, Handschuhe, Desinfektionsmittel und Tourpläne. Wir führen auch Behandlungspflege durch. Sie umfasst alle Tätigkeiten, die auf ärztliche Verordnung hin von Pflegekräften aus der Gesundheits- und Altenpflege durchgeführt werden. Darunter fallen Wundversorgung, Verbandswechsel, Medikamentenausgabe, Dekubitusbehandlung oder Blutdruck- und Blutzuckermessung.
Du hast auch eine sechsjährige Tochter. Wie hältst du die Balance zwischen deiner Familie und der Arbeit? Ich bin alleinerziehend. Meine Mutter und mein Freund unterstützen mich. Der Kindergarten hat im Moment geschlossen, deswegen brauche ich mehr Hilfe. Sie sind immer da, wenn ich arbeite. Der Frühdienst dauert rund sechs Stunden. Oft habe ich geteilte Dienste, dann muss ich abends noch mal los. Wenn ich nach Hause komme, bin ich total kaputt, vor allem durch die Teildienste.
Der stern hat eine Petition für verbesserte Bedingungen in der Pflege im Bundestag eingereicht. Welche Maßnahmen müssten im deutschen Gesundheitssystem umgesetzt werden, damit Pflege in Würde möglich ist? In erster Linie sollte der Beruf in der Gesellschaft anerkannt werden. Es wollen nur wenige Menschen in der Pflege arbeiten, wegen der Bezahlung und weil man als "Arschabwischer" abgestempelt wird. Wenn die wüssten, was man wirklich macht, würde der Beruf anders wahrgenommen werden – und mehr Leute würden ihn machen wollen. Wir haben durch den Personalmangel nur sehr wenig Zeit für die Patienten. Es wäre einfacher, würde es mehr Personal geben, aber es gibt erst mehr Personal, wenn der Beruf nicht mehr abgestempelt wird. Es ist ein Teufelskreis.
Du trägst deinen Teil dazu bei, das Bild des Pflegeberufs in die Öffentlichkeit zu tragen. Ich möchte die schönen Seiten der Pflege zeigen, weil mir mein Beruf Spaß macht. Er ist anstrengend, aber vor allem vielseitig und sehr schön. In keinem anderen Beruf lernt man Menschen so vielseitig kennen wie in meinem – und man kann so viel von der älteren Generation lernen.
Wie kamst du dazu, dein Leben auf Instagram zu teilen? Damals habe ich oft Bilder aus dem Fitnessstudio auf Instagram gepostet. Das hat den Leuten gefallen und das wiederum hat mir gefallen. Ich war sehr untergewichtig, bin sechs Mal die Woche zum Sport gegangen, wollte unbedingt zunehmen und so einen Körper haben wie die Mädchen, denen ich auf Instagram gefolgt bin.
Heute postest du viel zum Thema Bodypositivity. Wie kam es dazu? Ich weiß jetzt, dass jeder Mensch unterschiedlich ist oder jeder eine andere Anatomie hat. Ich kann nicht aussehen wie ein anderer und das ist auch gut so. Das Umdenken kam durch meine Knie-OP. Danach konnte ich nicht mehr so viel Sport machen und habe gemerkt, wie sehr ich in der Vorstellung von einem Idealkörper gefangen war. Es war meine oberste Priorität, ins Fitnessstudio zu gehen. Wenn ich einen Tag nicht gegangen bin, hatte ich ein schlechtes Gewissen. Aber als ich nicht mehr konnte, ist mir aufgefallen, dass man seine Priorität anders setzen kann – dann sind vermeintliche Zwänge nicht mehr belastend. Also begann ich, auf Instagram zu zeigen, wie ich ohne Filter und Posen aussehe. Alle haben das positiv aufgenommen und das hat mein Selbstbewusstsein gestärkt. Jetzt habe ich kein Problem mehr damit, mich so zu zeigen, wie ich bin.
Du klärst junge Frauen darüber auf, dass Körper nicht so perfekt sein können, wie sie auf Fotos aussehen. Wenn Influencerinnen nur bearbeitete Bilder hochladen, immer Filter benutzen und die perfekte Seite zeigen, fragen sich junge Mädchen, warum sie nicht auch so aussehen. Das führt zu Frustration und kann in Depression münden. Sie haben das Gefühl, dass sie nie so aussehen könnten wie die Mädchen auf den Bildern. Egal wie viel Sport sie machen, sich schminken und wie gesund sie sich ernähren. Daran verzweifeln viele. Dabei sollte man ihnen zeigen, was normal ist. Wie das Gesicht ohne Filter aussieht und der Körper, wenn er nicht in der perfekten Pose präsentiert wird. Dann können sie erkennen, dass sie genauso aussehen, wie die schönen Mädchen von den Bildern.
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Redest du manchmal mit den Patienten über Instagram? Bei der Arbeit geht es nicht um mich. Ich möchte den Menschen etwas zurückgeben. Sie sollen merken, dass ich mich um ihre Bedürfnisse kümmere und sie bei mir an Platz eins stehen. Sie freuen sich, wenn man da ist. Manche sind ganz alleine und wir sind die einzigen Menschen, die mal vorbeikommen. Sie genießen diese wenigen Minuten, in denen wir da sind. Da möchte ich nicht über mich reden, sondern etwas über sie erfahren. Aber wir haben zu wenig Zeit – es wäre so schön, mal fünf Minuten mit den Patienten quatschen zu können. Wir möchten mehr Zeit mit ihnen, um besser auf ihre Bedürfnisse eingehen zu können.
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Es geht um Ihre Kinder, Eltern und Großeltern, um unser aller Zukunft. Wir brauchen gute Pflege. Früher oder später. Deutschland altert schnell, und immer mehr Menschen sind im Alltag auf professionelle Pflege angewiesen. Doch in den Krankenhäusern, Heimen und bei den ambulanten Diensten herrscht ein enormer Pflegenotstand. Überall fehlen Pflegekräfte, weil die Arbeitsbedingungen schwer zumutbar sind und das Gehalt zu niedrig. Wir alle sind davon akut bedroht: Pflegekräftemangel führt zu schwereren Krankheitsverläufen, mehr Komplikationen und Todesfällen. Unsere Politiker:innen finden seit zwei Jahrzehnten keine wirksame Gegenmaßnahme. Es braucht einen ganz großen Wurf, um den Pflegekollaps noch aufzuhalten. Unser Umgang mit dem Thema Pflege entscheidet darüber, wie menschlich unsere Gesellschaft im 21. Jahrhundert bleibt.