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Aktion #allesdichtmachen Der Scherbenhaufen: eine kleine Bilanz – ganz ohne Schaum vorm Mund

Beteiligte Künstler der Aktion "allesdichtmachen"
Beteiligte Künstler der Aktion "allesdichtmachen"
© Internetaktion #allesdichtmachen via Youtube / DPA
Die Schauspieler-Aktion #allesdichtmachen hat nur Verlierer produziert. Zeit für eine kleine Bilanz – ganz ohne Schaum vorm Mund.

Was war los? Über 50 Schauspielerinnen und Schauspieler posteten angeblich satirische, aber eher zynisch klingende Videos zum Thema "Corona-Maßnahmen" und ernteten sowohl heftige Kritik als auch Zustimmung. In Kürze führte diese Aktion zu einer erbitterten Diskussion über Meinungsfreiheit, Zensur und die Rolle der Kunst. 

Zurück blieben am Ende: bedröppelte Schauspieler, die sich offenbar größtenteils überhaupt nicht darüber im Klaren waren, was sie da eigentlich gemacht haben. Und die mit eiligen Rückrufen ihrer Videos und Distanzierungen und Entschuldigungen versuchten zu retten, was kaum noch zu retten war: ihr guter Ruf. Jan Josef Liefers ließ sich am vergangenen Freitag zur Talkshow "3nach9" zuschalten, sah zerzaust aus wie ein just von Corona Genesener und versuchte sich umständlich zu erklären. Dass man sich möglicherweise "übernommen" habe, kam immerhin rüber.

Zurück blieben auch zwei unter schweren Beschuss geratene Macher der Aktion: der Regisseur Dietrich Brüggemann und der Produzent Bernd K. Wunder, die sich vorwerfen lassen müssen, ihre prominenten Schauspieler-Kolleginnen und Kollegen für ihre zweifelhafte Anti-Corona-Maßnahmen-Kampagne instrumentalisiert zu haben. 

Manche Kritiker gingen deutlich zu weit

Zurück blieb auch ein massiv angeschlagener WDR-Rundfunkrat namens Garrelt Duin. Der hatte nach Sichtung der Videos den "Tatort"-Rausschmiss von Liefers und anderen an der Aktion teilnehmenden TV-Kommissaren gefordert und musste sich zu Recht fragen lassen, ob er denn das Grundgesetz, Artikel 5, nicht kenne. Denn dort steht ziemlich unmissverständlich: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten."

Und zurück blieb schlussendlich eine zum Teil verunsicherte Bevölkerung. Wer bisher glaubte, Leute, die von gleichgeschalteten Medien faseln, gehören in die Ecke der Querdenker und Verschwörungstheoretiker, hörten diesen Vorwurf nun vom Professor Boerne-Darsteller aus dem Münster-"Tatort". Das hatte Wucht. Wahrscheinlich ist sich Jan Josef Liefers gar nicht im Klaren darüber, welche Wirkung seine Worte entfalten können.

Er ist nicht irgendwer. Er ist einer der größten TV-Stars dieses Landes. Ihm und Axel Prahl sehen bis zu zwölf Millionen Leute zu, wenn sie im "Tatort" ermitteln. Und in den Köpfen vieler Zuschauer verschwimmen Mensch und Rolle eher unbewusst zu einem sonderbaren Halbwesen, das fiktiv und real zugleich ist. Medienwissenschaftler nennen dieses Phänomen "Das Phantomatische". Irgendwie spricht sozusagen auch immer Professor Boerne mit, wenn Liefers redet. Und dieser Boerne sieht verborgene Zeichen, überführt Verbrecher, löst Rätsel und verhilft der Wahrheit zum Durchbruch.

Das macht Liefers Aussagen in dem Video so gefährlich. Er zieht mit seinen Äußerungen absurde Anwürfe der Querdenker und Verschwörungstheoretiker aus der Ecke von Spinnern in den Mainstream, macht sie so hoffähig. Man kann Liefers nicht vorwerfen, dass er populär ist und dass seine Worte Gewicht haben. Auch nicht, dass er eine Meinung hat. Aber man muss ihm vorwerfen, sich zumindest sehr missverständlich und grenzwertig geäußert zu haben. Dies gilt auch für seine "Tatort"-Kollegin Ulrike Folkerts und fünf weitere beteiligte TV-Kommissare. Ihnen allen hat diese Aktion sicher geschadet. 

Eine Aktion, die allen geschadet hat

Und der Sache half sie auch nicht. Kein neues Argument ist hinzugekommen. Niemand hat dazugelernt. Stattdessen: Scham, Zerknirschung, Zensur-Vorwürfe in alle Richtungen, Unsicherheit und dann auch noch Beifall für die Schauspieler und Schauspielerinnen von der AfD.

Diese Aktion ist für alle richtig nach hinten losgegangen. Wäre sie ein Film, hätte man ihn "Kleinhirnküken" nennen müssen, stellte mein "Spiegel"-Kollege Wolfgang Höbel sehr trocken und treffend fest.

Was kann man aus all dem nun lernen?

Sicher nicht, in Zukunft besser zu schweigen oder keine Satire zu machen. Bloß nicht! Her mit der Kritik an den Maßnahmen der Politik, wo sie begründet ist. Her mit dem Blick auf die "anderen" Opfer der Pandemie außerhalb des medizinischen Kontexts. Das muss unbedingt sein. Aber wenn dies auf satirische Weise geschehen soll – dann bitte anspruchsvoll, treffend und klar.

Notärztin Carola Holzner fordert #allesdichtmachen-Schauspieler auf, Schicht auf Intensivstation zu begleiten

An der Aktion haben auch Darsteller wie Ulrich Tukur und Hanns Zischler teilgenommen: Groß-Schauspieler aus der ersten Garde. Dass solche Granden zusammen mit anderen Kolleginnen und Kollegen nichts Besseres hingekriegt haben, ist schon seltsam. Jeder darf hierzulande glücklicherweise seine Meinung sagen. Und selbstverständlich auch doofe Videos drehen und publizieren. Aber jeder Sender einer Botschaft, zumal einer künstlerischen, muss sich der Kritik stellen. Hier ist sie: Diese Videos waren ästhetisch und inhaltlich halt ganz einfach – Mist.

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