Man muss lange suchen, um mehr über ihn zu finden, als die Werbetexte zu seinen Büchern, DVDs und Proteinshakes hergeben. David Kirsch, 48, ist eine Geheimwaffe. Einer von denen, die das Universum der Reichen und Schönen hinter den Kulissen am Laufen halten. Unter seiner Anleitung entstehen die Körper, die auf roten Teppichen und Laufstegen zu bewundern sind. Heidi Klum hat ihn gleich nach der Schwangerschaft an ihre Rundungen gelassen, Linda Evangelista und Naomi Campbell trotzen mit ihm der Schwerkraft, und auch Filmstars wie Liv Tyler und Rachel Weisz haben sich von ihm formen lassen. Der New Yorker, der eigentlich Anwalt gelernt hat und in natura aussieht wie eine hübschere und besser gebaute Version des Technostars Scooter, ist mit der Sehnsucht nach der perfekten Hülle reich geworden.
Mister Kirsch, bin ich ein schlechterer Mensch, wenn ich keine Bikini-Figur habe?
Nein! Ich habe von Anfang an gesagt: Krieg' den Körper, für den du bestimmt bist. Die beste Version deiner selbst. Du musst nicht aussehen wie Liv Tyler oder Linda Evangelista. Aber das heißt nicht, dass du nicht genauso schön bist
Aber wer bestimmt denn, wie die beste Version meiner selbst aussieht?
Du selbst. Scheiß' drauf, was die anderen sagen. Du musst am Ende in den Spiegel gucken können und sagen: Ich mag, was ich sehe.
Wäre ich also fett und würde sagen, dass ich damit glücklich bin, wäre das auch für Sie in Ordnung?
Wenn du dich wirklich in deinem Herzen wohl damit fühlst, ja. Aber ich glaube, das tust du nicht. Meine Mutter ist heute sehr glücklich. Sie hat mit 70 Jahren fast 40 Kilo verloren.
Gute Güte, und was ist mit ihrer Haut passiert?
Sie ist mit einer guten Haut gesegnet. Ihre Motivation war nicht, im Bikini gut auszusehen. Die Motivation war, gesund zu sein und noch ein bisschen länger auf der Erde zu weilen. Ich bin kein Psychologe und muss vorsichtig sein mit dem, was ich sage, aber vieles von dem, was ich tue, ist Psychologie. Menschen verbergen sich häufig hinter etwas. Es hat einen Grund, wenn du fett bist: Du denkst, "wenn ich fett bin, gucken die Leute mich nicht an, und ich muss mir keine Sorgen darum machen. Ich mag meinen Job nicht. Ich bin einsam. Ich führe eine schlechte Ehe..."
Haben Sie fette Freunde, Mister Kirsch?
(Lacht) Das ist lustig. Ich beurteile meine Freunde nicht danach. Ich habe kein Maßband an der Tür, wenn sie mich besuchen. Aber witzigerweise ist es häufig so, dass sie, wenn wir essen gehen, abwarten, was ich bestelle, bevor sie sich entscheiden. Und wenn ich dann einen Teller Nudeln bestelle oder Kekse zum Nachtisch, sind sie ganz glücklich. Ich sage aber nie was.
David Kirsch isst also auch schon mal Kekse zum Nachtisch?
Ja, ich lebe. Ich mag es knusprig. Aber ich bestelle sie nicht oft. Es geht nicht um mein Gewicht, ich war nie dick. Aber ich habe lange Arbeitstage. Ich fange bei Sonnenaufgang an, mit den Leuten zu trainieren, und höre nicht auf, bis die Sonne wieder untergeht. Ich mag Essen, das mir Energie gibt, ich mag es nicht, wenn es mich müde macht.
Aber Sie kennen den Genuss, Süßes zu essen?
Ich kenne den Genuss, alles zu tun! Wie soll man sonst entscheiden, dass man es nicht will. Wenn du 20 bist, dann bist du streng: "Das würde ich nie tun". Mein erstes Buch war noch ein bisschen so, aber dann lebst du, wirst erwachsen, wirst 30, 35, 40, 45, und du begreifst, dass es okay ist. Die Erde wird sich nicht auftun und dich verschlingen, weil du einen Teller Nudeln gegessen hast. Aber es ist ein Geben und Nehmen. Ich mag mein Aussehen. Und ich weiß, wenn ich bestimmte Sachen esse, sehe ich wahrscheinlich nicht mehr so aus wie auf dem Cover von der DVD.
Da haben Sie doch vorher nichts getrunken...
Nein, habe ich nicht. Soll ich mich ausziehen, um es Ihnen zu beweisen?
Nein.
Okay. (lacht)
Warum ist es gut, wenn man einer Frau, die gerade ein Kind bekommen hat, es möglichst schnell nicht mehr ansieht?
Ich denke nicht, dass das gut ist. Sie fragen so, als hätte ich das gesagt. Die Schwangerschaft ist eines der größten Geschenke, die Gott der Frau gemacht hat. Du musst den ganzen Prozess genießen. Du musst dich gesund ernähren, dich bewegen, und wenn du fünf, zehn, 15 Kilo zunimmst, kriegst du sie wieder runter. Du verlierst eine Menge, wenn das Baby kommt. Noch mehr, wenn du stillst. Und der Rest kommt eben runter, wenn er runter soll.
Sie wissen, dass ich Heidi Klum meine.
Ja, aber darüber werden wir nicht reden. Ich antworte Ihnen folgendermaßen: Meine Kunden kommen am besten vor der Schwangerschaft zu mir. Wir trainieren und wir planen. Heute sind die Frauen häufig älter, kriegen ihr erstes Kind mit Mitte, Ende 30. Da ist der Körper ganz anders, nicht mehr so stark wie mit Mitte 20. Deshalb rate ich, vorher zu trainieren, um den Körper darauf vorzubereiten. Und dazu hält man eine schlaue Diät. Nur weil du schwanger bist, musst du nicht saure Gurken, Schokolade, Kekse und Eis essen. Das ist kein Gesetz. Die, die das tun, kommen später heulend zu mir, weil sie ihren Vorschwangerschafts-Körper wiederhaben wollen. Weil sie wieder sexy sein wollen für ihren Mann, um wieder in den Badeanzug zu passen.
Haben Sie jemals den Augenblick erlebt, in dem sie dachten, es muss nicht besser sein? Gut ist gut genug?
Ich persönlich? (längere Pause, Griff ans Kinn) Nein! Ich wünschte... nein, hatte ich nicht. Mir sind in meinem Leben viele traumatische Dinge passiert. Es war nicht immer perfekt. Aber was mich immer wieder hat aufstehen lassen, ist die Verbindung, die ich mit meinem Selbst habe.
Schlechte Kindheit?
Nein, das nicht.
Menschen verloren?
Menschen verloren, ja. Unschöne, traumatische Augenblicke, als ich sehr jung war. Wenn so etwas passiert, musst du dir wirklich dein Inneres angucken und versuchen zu verstehen. Und das einzige, was wir verstehen können... (er unterbricht und zeigt auf einen Mann am Buffet) Gucken Sie sich das an: Er klaut sich gerade 'ne Cola. Für mich ist das Gift. Würden wir es Ratten geben, die würden sterben. (Beugt sich über das Aufnahmegerät) Das ist Gift! (lacht)
Gab es Zeiten, in denen Sie nicht jeden Tag trainiert haben?
Ja. Gerade jetzt haben wir eine verdammt schwierige Zeit in Amerika. Vor allem in New York. Der Wirtschaft geht es überall schlecht, aber in New York scheint alles wie unter einem Vergrößerungsglas. Weil die Banken da sind, die Wall Street, die großen Werbefirmen. Überall bröckelt es. Den Zeitschriften geht es beschissen. Ich fühle mich manchmal wie ein Schwamm. Ich sauge die ganze negative Energie auf. Die Kunden kommen rein und sind am Ende. Hätte ich nicht dieses starke Fundament in meinem Wohlbefinden, könnte ich das gar nicht überleben.
Erfahren Sie in Teil zwei, was David Kirsch vom Model-Business hält und wieso er Erfahrung mit Magersucht hat
Ich bin jetzt mal ganz offen: Ihr Image, wie man es aus Zeitschriften, Internet und Fernsehen kennt, macht mich wütend. Sie sind Teil einer Industrie, die einen kranken Perfektionismus propagiert, der junge Mädchen dazu bringt, magersüchtig zu werden. Die sich die Hochglanzmagazine angucken und so aussehen wollen wie die Stars und Models, und nicht wissen, dass die Hälfte eh retuschiert ist.
Wenn Sie über mich recherchiert haben, dann wissen Sie...
Die Mädchen recherchieren nicht.
Für jemanden, der sich mehr anguckt als das Buchcover, der hinter den Sensationalismus des Verlegers guckt, der ihn nutzt, weil er das Buch verkaufen will, oder den des Redakteurs, der so schreibt, weil es die Zeitschrift verkauft, war meine Botschaft immer: Finde dein bestes Ich. Sei gesund, hungere nicht. Ich habe drei Schwestern, eine davon hatte Bulimie, die andere war magersüchtig. Glauben Sie mir, ich habe damit gelebt, seit ich elf war. Ich weiß, was das einem Menschen antut und was es den Menschen antut, die mit diesem Menschen leben. Es reißt dir das Herz raus! Es ist eine Krankeit wie Alkoholismus. Das habe ich niemals vertreten. Ich selbst habe Kunden abgelehnt und zum Arzt geschickt, wenn ich so was gesehen habe. Wenn ich eine Tochter hätte, würde ich ihr verbieten, Model zu werden, egal wie schön sie ist. Das ganze Wertesystem ist falsch.
Aber sind Sie nicht Teil dieser Industrie?
Nein, der Teil, der ich davon bin, ist ein guter. Ich sage ihnen, dass sie gesund sein sollen, dass sie vernünftig essen sollen. Ich sage, du kannst eine Bikinifigur haben, wenn du dazu bestimmt bist. Wenn Heidi Klum dein Vorbild ist, ist das toll, aber du wirst nicht so aussehen. Trotzdem kannst du eben so gut aussehen, wie du aussehen kannst. Und du kannst auch im Bikini toll aussehen. Wenn dich das motiviert, ist es gesund. In meinen Büchern und Videos geht es nicht nur darum, zehn Kilo zu verlieren. Glauben Sie mir, es gibt genug Leute, die zu mir kommen und sagen "Ich muss zehn Kilo abnehmen". Aber das mache ich nicht. Das habe ich noch nie gemacht.
Es hat aber nichts an den Bildern in den Zeitschriften geändert.
Und da stimme ich ihnen zu. Die größte Schuld liegt bei den Zeitschriften. Das digitale Retuschieren und Bearbeiten der Bilder, einen Kopf auf einen anderen Körper packen, das ist obszön. Meine Kundinnen sind zum Glück natürliche Schönheiten und haben gute Agenten. Bei denen steht im Vertrag, wenn sie ein Cover haben, dass es kein Bearbeiten der Bilder geben darf. Die Scheiße hat vor ein paar Jahren angefangen, als - ich glaube, es war "Harper's Bazaar" - den Körper einer Freundin von mir benutzt und jemand anderes Kopf draufgesetzt hat. Das war einfach nur lächerlich, und es war auch so offensichtlich. Du konntest es sehen. Die Körperteile haben gar nicht zusammengepasst. Das ist eine Botschaft, die rausgeht an Millionen von Mädchen. Und die ist falsch!
Ist der Körper der Feind?
Nein, muss er nicht. Es geht nicht um den Körper, es geht viel weiter. Wissen Sie, was ich an Europa so mag? Die französischen Frauen, auch die deutschen, fühlen sich in ihren Körpern wohl. Sie gehen an den Strand, laufen oben ohne rum, und sie haben definitiv nicht den Körper von Heidi Klum. Aber es ist egal. Das liebe ich. Ich liebe die Tatsache, dass sie sich in der eigenen Haut wohlfühlen. Das ist großartig.
Wo gucken Sie eigentlich zuerst hin, wenn Sie jemanden das erste Mal treffen?
Auf den Hintern. (lacht) Nein, in die Augen. Ehrlich. Du musst jemandem in die Augen gucken, und er muss zurückgucken können. Das ist wichtig. Ich muss ein Gefühl dafür kriegen, wie jemand drauf ist. Akzeptiert er, was ich sage, hat er Disziplin, ist er fokussiert, versteht er, was ich mache? Wenn nicht, dann wird es nichts.
David Kirschs DVD-Set "Das ultimative 7-Tage-Programm" ist im Riva Verlag erschienen und kostet 75 Euro (sieben DVDs à 30 Minuten)