Mit ihnen fing alles an. Als die Polizei sich im Juni 1969 wieder einmal die Schwulenkneipen in der Christopher Street in New York vorknöpfte, setzten sich die Homosexuellen zur Wehr, allen voran die Drag-Queens. Seitdem erinnert der Christopher Street Day (CSD) mit seinen weltweiten Paraden an den erfolgreichen Protest. Auftakt war am 11. Juni in Hamburg. Große Paraden der Schwulen und Lesben sind auch in Berlin (25. Juni), Köln (3. Juli) und München (9. Juli) geplant.
Die Hauptstadt ist Hochburg der Drag-Queens. In Berlin nennen sich die als Damen kostümierten Herren gern "Tunten" und sind besonders politisch, dafür nicht ganz so gestylt, wie Matthias Reetz alias Tunte Margot Schlönzke erklärt. Die Szene ist bunt: Neben dem CSD gibt es das multisexuelle Festival "Wigstöckel", Bingo-Abende mit Drag-Queens und einschlägige Kostümläden. Unter Hausbesetzern ist das "Tuntenhaus" im Prenzlauer Berg legendär. Stadtbekannte Künstlerinnen sind Daphne de Baakel, Irmgard Knef (Hildegards fiktive Schwester) und Biggy van Blond.
Abwischbar ist immer gut
Letztere ist Kolumnistin, DJ und tritt in Shows auf - "ein Job, den ich gerne mache", sagt Biggy van Blond, die bürgerlichen Namen und Alter ("gefühlte 26") nicht preis gibt. In Berlin gibt es ihrer Schätzung nach rund 50 bekanntere Drag-Queens. Die Szene habe sich sehr etabliert und sei die größte in Deutschland, meint sie. Gut eine Stunde dauert es, bis aus dem Schöneberger Mann Biggy van Blond wird. Outfitvorliebe? "Ach Gott, gerne kurz, gerne sexy. Und abwischbar ist auch immer gut, falls man ein Getränk abbekommt."
Typisch klingt der Weg von Kaey Tering, die für den Fototermin gut zwei Stunden im Bad und am Schminktisch verbracht hat und sich das Samtkleid selbst auf die barocke Figur geschneidert hat: In der Pubertät das schwule Outing, dann erste Experimente mit Make-up. Dann der Umzug von Halle nach Berlin, wo sie sich mit Jobs über Wasser hält, die 25-Jährige moderiert zum Beispiel die CSD-Party in Kreuzberg.
Nicht immer Akzeptanz
Die Konkurrenz ist groß, die Akzeptanz der Außenwelt nicht immer. "Es gibt immer noch genügend Leute, die verprügelt werden", erzählt Kaey Tering, die als Mann Denis heißt und mit den langen braunen Haaren auch ohne Kostüm recht weiblich wirkt. "Ich sehe einfach nie aus wie ein Mann." Sie gehört zu den Drag-Queens, die nicht "viel mit der Dualität der Geschlechter anfangen können". Für Kaey Tering ist es nicht bloß eine Bühnenrolle, sondern eine Lebenseinstellung.
Für den Außenstehenden ist Drag (abgeleitet vom Englischen "Dress As A Girl") nicht ganz einfach zu verstehen. Einige schwule Männer haben auch ein Problem damit, wenn beim Christopher Street Day, der ja allen Homosexuellen gewidmet ist, es immer die schrillen Bilder sind, die in der Zeitung landen. Was steckt dahinter? "Ein grundlegender Irrtum ist, dass alle Männer in Frauenkleidern Transvestiten sind und Travestieshow á la Mary machen", meint Margit Schlönzke. Drag ist eine von vielen schwulen Lebenseinstellungen und kann eine politische Seite haben, ist nicht nur "camp", jener ganz besondere, selbstironische Stil, den die US-Essayistin Susan Sontag einmal beschrieben hat.
"Tunten lügen nicht"
Die "Schwestern der Perpetuellen Indulgenz" - kostümierte, weiß geschminkte "Ordensschwestern" - sind beispielsweise bei Partys und auch beim CSD unterwegs, um über Safer Sex und HIV aufzuklären. Der Berliner Regisseur Rosa von Praunheim trauerte kürzlich um die Aidsaktivistin Ovo Maltine, die mit 38 Jahren an den Folgen einer HIV-Infektion starb und auch in einem seiner Filme mitspielte. Titel: "Tunten lügen nicht".