Die estnische Hauptstadt Tallinn hat es Corinna May angetan. Nach ersten Streifzügen durch die sonnendurchflutete Stadt mit ihren blühenden Kastanien-Alleen sagte die deutsche Grand- Prix-Hoffnung: »Es hätte mediterranes Flair - wenn es ein paar Grad wärmer wäre.« Doch als Bremerin ist May scharfen Wind gewohnt - und hat für Spaziergänge gleich ihre schwarze Lederjacke aus dem Koffer geholt. Die Reize der westlich orientierten Stadt hat die blinde Sängerin dabei rasch erspürt: »Am Geruch und daran, wie die Menschen sind«. Um sich bis zum großen Finale an diesem Samstag nicht zu vielen Strapazen auszusetzen, will sie beim Nachtleben allerdings ein wenig kürzer treten. »Jeden Abend gibt es einen offiziellen Empfang und Partys der einzelnen Teilnehmerländer« - sie werde aber nicht auf jeder Fete dabei sein.
Vor allem Ruhe
Vier Tage vor dem Finale am Samstag braucht die spanische Teilnehmerin beim Eurovision Song Contest vor allem eines: Ruhe. Die Band habe eine derart lange Tour in ihrem Heimatland absolviert, dass sie keine besonderen Vorbereitungen mehr benötige - aber ein wenig Zeit zum Ausspannen, sagte Rosa nach der ersten Probe ihres Songs »Europe's Living A Celebration« in Tallinn. Sie bekannte, dass die Teilnahme am Vorentscheid »Operación Triunfo« ihr Leben radikal verändert habe. Nun stehe sie inmitten des Grand-Prix-Trubels, obwohl sie vom Schlagerwettstreit vorher gar nicht so viel gewusst habe. Bedrängt wurde sie von zahlreichen Fotografen und Journalisten. Mit 122 erwarteten Journalisten hat Spanien die meisten Medienvertreter nach Estland geschickt, gefolgt von Deutschland mit 117 Presseleuten. Im Ranking der zehn führenden europäischen Wettgesellschaften liegt Spanien allerdings nur auf Platz sieben.
Frühlingsgefühle statt Grand-Prix-Fieber
Tallinn zeigt sich wenige Tage vor dem Groß-Event Grand Prix trotz enormer finanzieller und organisatorischer Belastungen voller Gelassenheit. Viele der 430 000 Einwohner begeistern sich mehr für den ausgebrochenen Frühling und schlendern durch die Parks, anstatt sich vom Grand-Prix-Fieber anstecken zu lassen. Im Kaufhaus Tallinna Kaubamaja zeugt lediglich eine Hand voll Grand-Prix-Devotionalien - Milchschokolade, randvoll mit Süßigkeiten gefüllte Sektflaschen und T-Shirts - von gedämpftem Vermarktungsinteresse. Die Touristen fragen die Postkarten-Verkäufer mehr nach den historischen Bauten als nach den bereits eingetroffenen Musikern aus 24 Ländern. Lediglich die starke Präsenz strahlend blau gekleideter Polizisten zeugt von erhöhter Aufmerksamkeit. Mit 1000 Sicherheitskräften sind so viele wie noch nie in der Hauptstadt Estlands im Einsatz.