Wahrscheinlich hat Jürgen Drews irgendwann einmal beschlossen, einfach glücklich zu sein. Sich um nichts zu scheren und nicht in den Spiegel zu schauen, den die öffentliche Meinung ihm hinhält. Allerdings fragt man sich schon, wo die innere Schmerzgrenze liegt, wenn man den 66-jährigen Mallorca-gebräunten Schlagerstar auf einem kleinen Ausflugsdampfer posieren sieht: mit festgenageltem Partygrinsen, das schwarze Hemd bis zum Bauch aufgeknöpft, und immer diese nach der Aufmerksamkeit greifenden Hände, die dann aber doch nur Luft erwischen. Erst später, als das Boot abgelegt hat, als Mann und Maus dem Herrn mit den silbernen Krokoschuhen zu weißer Bundfaltenhose und Army-Style-Jacke mit Glitzerkrone auf dem Rücken ausgeliefert sind, da hält Jürgen Drews doch plötzlich etwas in den Händen. Und er gibt es zurück, weil die Leute ihm nun zuhören müssen.
Zwar heißt sein neues Album - das es auf der Spree vorzustellen gilt - "Schlagerpirat" und liefert erwartbare Schunkelware wie "Wir fliegen im Himmelbett", "Wenn die Wunderkerzen brennen" oder auch "Du heiliger Bimbam", doch auf dem Boot singt Drews zuerst - auf Playback - "Mama Loo", ein Stück der Les Humphries Singers aus den 70ern. Der Hamburg-stämmige Multikulti-Chor verband damals sehr erfolgreich Hippie-Harmonie mit Gospel. Der junge Jürgen Drews war einer von ihnen. Und der alte will, dass wir das wissen. Die Schunkelfahrt wird zur Geschichtsstunde.
"Machen wir wohl"
Offensichtlich will Drews den Leuten mehr zeigen, als das irre Grinsen des "Königs von Mallorca", das die Klatschpresse im kollektiven Bewusstsein einzementiert hat. Der alte Hase weiß, wo die jungen Hasen laufen: "Was wollt ihr schreiben? Wie bescheuert ich bin? Das versteh ich total." Sagt es und hängt sich lachend einen Rettungsring um den Hals. Die Fotografen schreien vor Glück.
Nein, er sei kein Zyniker, sagt Drews später im Gespräch mit stern.de. "Das ist gar nicht meine Wesensart. Wenn manchmal etwas zynisch rüberkommt, dann unabsichtlich." Schwer zu glauben. Als die Fotografen rufen, dass er sich in eine bestimmte Richtung drehen soll, höhnt er mit lieblicher Stimme: "Machen wir wohl".
Die Zäsur: "Ein Bett im Kornfeld"
Als Drews 1976, ein hübscher Hippie-Junge in Jeansweste, "Ein Bett im Kornfeld" sang, wurde er über Nacht zum Schlagerstar. Aber es war auch ein Abschied. Zuvor war er Mitglied einer Band namens Die Anderen. Das war experimenteller Psychorock, inspiriert von den 60ern, ein bisschen Flowerpower, ein bisschen Jimi Hendrix, ein bisschen Synthesizernebel. Als Apocalypse ging es sogar nach Amerika. Doch der Deal platzte, und Drews kam zurück nach Deutschland. "Ein Bett im Kornfeld" sei seine Lebensgeschichte, sagt er. "Ich bin immer nur gefragt worden, ich kann für all das eigentlich fast nichts. Ich habe immer nur ja oder nein gesagt." Und er habe meistens ja gesagt, "weil ich gar nicht wusste, was daraus wird". Aus Neugier? "Aus Spaß. Ich wollte Arzt werden. Ich habe das Gymnasium zuende gemacht und war auf der Uni. Deshalb war mir das auch alles wurscht." Aber dann blieb er eben doch bei der Musik.
Mit angerauter Stimme - "Ich gehe nicht vor drei Uhr nachts ins Bett" - singt Drews "Ich bau dir ein Schloss", und dank körperlicher Fitness machen ihm die Schlinger des Bootes nichts aus. "Mich wundert es wirklich, dass ich immer noch Party mache", sinniert er dann. Seine Messlatte ist immer wieder die Jugend, die sage: "Dieser alte Sack da ist eigentlich ganz gut drauf" - und die Verkaufszahlen, die bei ihm immer noch stimmen. Wegen des Geldes müsse er jedenfalls nicht auf die Bühne, stellt er fest. "Ich muss auf die Bühne, weil es eine Art Therapie für mich ist. Sonst fange ich wirklich an, darüber nachzudenken, was Altern bedeutet." Als ein Fotograf ihn bittet, den nächsten Song leiser zu drehen, lacht Drews und sagt: "Klar, ich kenn den Scheiss!"
Immer noch kein Zynismus? Nein Selbstironie, so Drews. Wenn man im Schlager- und vor allem im Partybereich arbeitet, werde man musikalisch nicht ernst genommen. "Das muss mit einem lustigen Augenzwinkern rüberkommen. Du musst dich selbst ein bisschen karikieren können." Als er zugesagt habe, "Ein Bett im Kornfeld" zu singen, habe er gewusst, auf was er sich einlässt. Das sei wirklich ein Paradigmenwechsel gewesen. Dann machte er weiter und wurde kassiert. "Wenn du einmal Schlager bist, bist du Schlager! Du kommst da ganz schwer raus. Und wenn du's machst, musst du damit rechnen, dass du nicht akzeptiert wirst." Vielleicht ist in dem sonnengegerbten Gesicht doch auch eine Spur Bitterkeit?
"Ich bin kein Roy Black"
Drews lässt sich auf die Frage nach der Kränkung nicht ein. "Ich nehme Schlager so, wie er ist", sagt Drews. "Er soll eine nette Stimmung machen, und man soll nicht darüber nachdenken." Und weil er immer noch will, dass man weiß, wo die Dinge herkommen, fügt er hinzu: "Gerade nach dem Dritten Reich war der Schlager dazu da, die Leute abzulenken und eine heile Welt vorzuspielen. Schlager läuft in angespannten Zeiten immer gut."
Nimmt Jürgen Drews überhaupt etwas ernst? "Popmusik, die ich auch machen würde, aber es hat nicht sollen sein." Und dann wieder die Versicherung: "Aber ich fühle mich sehr, sehr wohl mit der Nische, die ich gefunden habe. Ich leide nicht! Ich bin kein Roy Black und kein Rex Guildo. Ich fühle mich tierisch wohl, und ich gehe mit offenem Visier durch die Gegend."
Er grinst zahnreich, streckt die Hand aus und greift nach dem Mikrofonständer.