Empfanden Sie das Schreiben als Therapie?
Nun, es kamen ein paar Erinnerungen hoch, von denen ich hoffte, ich hätte sie mir weggesoffen. Zum Beispiel Erlebnisse in der Schule: Heute liest sich das unterhaltsam, aber man muss überlegen, was man damals durchgemacht hat. Wie ich einmal den blauen Brief abfing, in dem meinen Eltern mitgeteilt wurde, dass ich sitzen blieb – solche Lügengeschichten, die unwiderruflich im Desaster endeten, führten dazu, dass ich permanent mit schlechtem Gewissen rumlief. Ich komme aus einer kleinen Stadt in Ostfriesland, wo die Nachbarn schon komisch guckten, wenn man nicht wie alle anderen am Samstag seine Ligusterhecke beschnitt. Das war eine kleine, enge Welt, die mich als Kind fast erstickte.
Und in der jeder Sie kannte?
Aber nur als den letzten Sohn von Rektor Dall, der halt nicht so funktionierte wie die anderen drei Kinder. Meine ältere Schwester hat letztens in einem Fernsehinterview gesagt, ich sei nicht erziehbar gewesen. Ja, was ist erziehen? Menschen verbiegen. Und es stimmt: Ich halte mich ans Grundgesetz – die Würde des Menschen ist unfassbar oder wie das heißt –, aber ich bin nicht erziehbar.
"Ungeeignet, zu lang, grinst immer so blöd", lautet ein früher Kommentar über Ihre Person.
Ich bin natürlich sehr auffällig. Meine Anwesenheit alleine hat die Leute provoziert. Mitschüler machten Witze über mein Äußeres, und die Lehrer konnten sich mein Gesicht immer am besten merken, vor allem, wenn’s ans Strafen ging. Da musste ich schon früh Humor entwickeln.
Das vollständige Interview
... mit Karl Dall lesen Sie im neuen stern. Karl Dalls Autobiografie "Auge zu und durch" erscheint am 15.9. bei Hoffmann & Campe.
Es gab Tage in Ihrem Leben, die begannen mit einer Flasche Wein. Hätten Sie sich damals als Alkoholiker bezeichnet?
Wir rechneten mehr in Bierwährung und als Beschleuniger den Schnaps dazu. Vor genau 40 Jahren, da war ich hart an der Grenze. Ich hing rum in einer Berliner Kneipe, der „Malkiste“, hatte keine Arbeit, und irgendwo war mir auch gerade eine Trulla über den Deister gegangen. Da hab ich alles genommen, was mir angeboten wurde, getränkemäßig und was sonst so rumlief. Eine schlimme Zeit.