Achtung, ganz schweres Wort jetzt: Benzoylecgoninmethlyester. Chemisch betrachtet ein Chlorid, Hauptbestandteil des Koka-Salzes, das im Hirn eine Flut des Glücksstoffes Dopamin auslöst. So, vereinfacht gesagt, funktioniert Kokain, wenn es zum Beispiel nachts in einem Londoner Tonstudio durch eine gerollte Fünfpfund-note in die Nase gesaugt wird. Die Einsaugenden sind danach albern, übermütig und fühlen sich glücklich.
Nun gibt es immer wieder Geschichten und Gerüchte, dass jenes unaussprechliche Chlorid zum Grundnahrungsmittel einer kreativen Industrie aus Musikern, Malern und Modemenschen gehört. Wie selbstverständlich hackt und legt sie sich ihre Linien aus, sie, die kreative Elite, hat doch beinahe ein Recht darauf, oder? "Es ist doch der einzige Weg, die langen Nächte mit langweiligen Abendessen zu überstehen. Du arbeitest den ganzen Tag und sollst in der Nacht auch noch die beste Laune haben", sagt das Model Kate Moss.
Nun sah es in der vergangenen Woche fast so aus, als ob das Dopamin-Doping die Karriere des letzten großen Supermodels beenden könnte. Unscharf und wackelig wurde die 31-jährige Moss per Handy gefilmt, als sie sich mit ihrem Freund, dem Musiker Pete Doherty, in einem Tonstudio fünfmal binnen vierzig Minuten eine weiße Substanz durch einen gerollten Geldschein in die Nase sog und zwischendurch kichernd allerlei Albernheiten über ausgegrabene Totenköpfe und Popsongs von sich gab.
"Cocaine Kate" betitelte der "Daily Mirror" die Bilder und feierte einen Blattschuss in eigener Sache - zwei Monate zuvor hatte das Schwesterblatt "Sunday Mirror" einen Prozess gegen das Model verloren, weil es behauptet hatte, Moss sei 2001 in Barcelona an einer Überdosis Kokain kollabiert.
Die Geschichte musste
bei gleichzeitiger Zahlung einer hohen Summe widerrufen werden. Kaum waren die Handy-Bilder im Haus, kündigten die "Mirror"-Anwälte an, man wolle nun auch das Schmerzensgeld für angebliche Falschmeldungen zurück - das Mädchen sei schließlich augenscheinlich sehr "auf Nase".
In der Modebranche hinterließen die Bilder einen wattierten Schock. Zwar wollten Hennes & Mauritz und Burberry die Verträge mit dem Star kündigen, Chanel gab bekannt, man habe sowieso nicht vorgehabt, mit ihr weiterzuarbeiten, aber schon der Kosmetikkonzern Coty Beauty, für dessen Marke "Rimmel" Kate Moss wirbt, kommentierte den Fall extrem zurückhaltend. Dior äußerte sich überhaupt nicht, und auch der Rest der Industrie hängte sich nicht an die große Glocke, die der "Daily Mirror" zum Abläuten einer langen Karriere in Schwung gebracht hatte.
Im Gegenteil - eigentlich wollte sich niemand so recht mit der zehnfachen "Vogue"-Titelheldin und Trägerin des US-Mode-Oscars Fashion Award anlegen. Das dünne Mädchen aus dem Londoner Vorort Croydon ist, schlicht gesagt, zu mächtig.
Selbst die biestigsten Modekritiker, die bei anderen Models schnell die Daumen senken, wenn sie nicht mehr en vogue sind, erstarren im Respekt vor der Marktmacht der Engländerin. Seit 15 Jahren im Geschäft der Mode und Werbung, hat Kate Moss immer noch die vielleicht größte Ausstrahlung, die je ein Laufstegmädchen hatte. Sie braucht nur ihr immer ein wenig gelangweiltes Gesicht zu zeigen, schon gibt's ein gutes Geschäft. Der ehemals biedere Trenchcoat-Schneider Burberry konnte sich mit neuem Design und Kate Moss komplett neu erfinden und verbuchte im vergangenen Geschäftsjahr zehn Prozent Umsatzsteigerung.
Die ehemals steifen Läden sind heute Trendzentralen, vor denen sich Teenager versammeln, wenn sie in einer Anzeige gesehen haben, dass Kate Moss jetzt Burberry-Stiefel oder Schals trägt. Und egal, durch welches Heft des weltweiten Stils man blättert - "Vogue", "Tatler" oder die US-Modebibel "W" -, das meistgesehene Gesicht ist Kate Moss, die sogar von Lucian Freud gemalt wurde, was "W" eine Sonderausgabe wert war.
Ihr Vermögen wird auf 44 Millionen Euro geschätzt, ihre Tagesgage auf 40 000 Euro, "mindestens, denn das ist sie wert", wie ein Hamburger Modelagent sagt. Schwer vorstellbar, dass ihre Industrie eine wie sie wegen ein paar Linien Kokain fallen lässt. Schon merkte ein Sprecher von H & M an, dass sich Frau Moss ja öffentlich für ihren Fehler entschuldigt hätte, und man werde ihr eine zweite Chance geben.
Dennoch bleibt die Frage, warum sich eine 31-jährige Mutter, steinreich, weltberühmt und dünn, Glücksstoffe ins Hirn pusten muss. Ist sie nicht glücklich genug?
Nein. Mit 14 entdeckt, kennt Kate Moss keine andere Welt als die des champagnerperlenden Jet Sets, keine anderen Menschen als zynische Fotografen und noch zynischere Modemacher. Ihr Ruhm begann in den 90er Jahren, als Calvin Klein Moss und ihren damaligen Freund Mario Sorrenti einlud, ein paar Fotos zu machen. Kate nackt auf einer Couch, ein privates Video, "I love you", sagt Sorrenti hinter der Kamera, und die junge Kate schaut mit tropfendem Herzen. Calvin Klein machte daraus einen weltweiten Werbespot für sein Parfüm "Obsession", und Kate sagte später: "Dieser Film war ein Fehler. Mario hatte sich zu sehr auf den Ausverkauf unserer Gefühle eingelassen."
Von da an sah sie ihren Ruhm genauso zynisch wie die, die an ihr reich wurden. "Ich stelle mich aus, und was dabei von mir zu sehen ist, zeigt nichts von mir selbst. Ich gebe diesen Körper her - das ist meine Arbeit." Dass 15 Jahre Enteignung des Körpers Schmerzen im Ich zurücklassen, liegt auf der Hand, und dass solche Schmerzen in einem Luxuszirkus mit gewissen Drogen betäubt werden, mag nachvollziehbar sein. "In der Mode hat der Exzess keine kreativen Gründe, was immer andere auch sagen. Es geht nur darum, auszubrechen, du musst da heraus, um damit leben zu können. Ich weiß, dass ich so was deshalb getan habe", sagte Kate Moss einmal.
Sie wolle nun, verkündete Kate Moss am vergangenen Wochenende, ihre Probleme in den Griff bekommen und sich in eine Entzugsklinik begeben. In so einer war sie schon einmal. 1998, damals hießen die Probleme Champagner und Party. In der Klinik setzte sie, ganz aus Versehen, ein Zimmer in Brand.