"Schwangere Sandy Meyer-Wölden im Partyrausch", "Sandy und Oli auf Partytour", "Promi-Paar jettet von Berlin nach München": Ganz normale Schlagzeilen vom vergangenen Wochenende. Ganz normal? Müssen wir wirklich wissen, wo und wie sich Boris' Ex wieder ins Rampenlicht drängte? Fest steht: Der Klatsch über Stars und Sternchen gehört in unserer Gesellschaft zum Tagesgeschäft. Im Fernsehen wimmelt es von Promi- und Infotainment-Formaten, die "Leute"-Teile wachsen auch in seriösen Zeitungen und Magazinen stetig an und das Internet hat die Klatschkultur auf eine völlig neue Ebene gehoben. Das Resultat: Der Boulevard boomt, nie wurde so viel geklatscht wie heute. Aber warum interessieren wir uns überhaupt so brennend für das Leben der Stars, Politiker und Promis?
Dafür müssen wir nur einen Blick auf die Geschichte unserer Gesellschaft werfen. Früher lebten wir in dicht vernetzten Einheiten, wie wir sie heute nur noch im dörflichen Umfeld finden: Alle haben fast identische Kreise von Freunden, Verwandten und Bekannten. Im globalen Dorf von heute überschneiden sich diese Kreise dagegen nur noch teilweise, weil wir immer weniger gemeinsame Kontakte haben. Die sozialen Verbindungen sind schwächer geworden - und hier kommt der Promi-Klatsch zu Hilfe.
Denn Stars und Prominente bilden eine Art Familienersatz, sozusagen unseren gemeinsamen virtuellen Freundes- und Familienkreis. Deutlich wird das zum Beispiel daran, dass uns Nachrichtensprecher oder Schauspieler bekannt vorkommen. Sie sind halbwirkliche Freunde, die einen Teil unseres Sozialgeflechts ausmachen. Soziologen nennen dieses Phänomen "parasoziale Interaktion": Wir bauen emotionale Bindungen zu Medienpersönlichkeiten auf, von Identifikation bis zu erotischen Ansinnen. Diese Gefühle durchleben wir dann fast so intensiv wie bei Menschen, die wir persönlich kennen.
Insofern sind Stars Stellvertreterfiguren, die wir anhimmeln oder verachten können, und mit denen wir uns vergleichen können, in allen denkbaren Bereichen, von Alkohol bis Zellulitis. Die Promi-Platzhalter helfen uns, unsere Gesellschaft zusammenzuhalten und Ordnung in die Welt zu bringen. Wie Mythen oder Religionen sprechen Promi-Klatschgeschichten unsere eigenen Erlebnisse, Hoffnungen, Ängste oder Erinnerungen an. Sie liefern uns Verhal-tensweisen und Geschmacksstandards, um unsere eigene Geschichten und Identitäten zu konstruieren - und um das Leben ein bisschen leichter zu machen, indem sie uns von unserer eigenen Situation ablenken.
Dabei laden uns Stars und Promis nicht nur dazu ein, in kompensatorischen Parallelwelten zu schwelgen. Sie dienen auch dazu, dass wir uns über sie den Mund zerreißen können, wenn uns ihr Verhalten nicht in den Kram passt - oder wenn wir uns die Frage stellen, wie gut Schwangerschaft und Partyleben zusammenpassen. Also genauso wie beim privaten Face-to-Face-Klatsch, bei dem ebenfalls gern eigene Schwächen, Ängste und Wünsche auf andere projiziert werden.
Christian Schuldt
ist Redaktionsleiter des Frauenportals Brigitte.de, das wie stern.de im Verlag Gruner+Jahr veröffentlicht wird. In seinem Buch "Klatsch! Vom Geschwätz im Dorf zum Gezwitscher im Netz" , das am 26. Oktober im Insel-Verlag erscheint, erklärt der Journalist und Soziologe, warum wir ohne Klatsch nicht leben können.
Warum wir so gern über Promis klatschen, lässt sich aber auch evolutionspsychologisch erklären: Wir wollen sozial dominante Menschen beobachten und ihr Verhalten, ihre Mimik und Gestik ergründen, um uns ihnen anzugleichen. Das zumindest legen Versuche mit unseren tierischen Vorfahren nahe: Affen zollen sozial höhergestellten oder sexuell interessanten Artgenossen erhöhte Aufmerksamkeit und sind sogar bereit, dafür zu zahlen, so wie Menschen Konzerttickets oder Klatschmagazine kaufen. Männliche Affen verzichten für den Anblick eines Gruppenchefs zum Beispiel auf eine große Menge leckeren Fruchtsafts, während sie für die Unannehmlichkeit, sich mit dem Gesicht eines Gleichrangigen zu beschäftigen, ein paar Schlucke zusätzlich verlangen.
Um zu werden wie diejenigen, die von anderen Fruchtsaft verlangen können, hilft uns das Bescheidwissen über die modernen Häuptlinge, die Stars, Politiker und Wirtschaftsbosse. Wir suchen Orientierung an Lebensläufen, die geglückter oder aufregender scheinen als unsere eigenen, und sind brennend interessiert am Privatleben der Helden, die uns so vertraut geworden sind wie unsere eigene Familie. Klatsch ist dabei ein wertvolles kulturelles Kapital, das wir investieren können, um die menschlichen Alphatiere nachzuahmen und selbst sozial aufzusteigen. Auch insofern kann ein bisschen Bescheidwissen über das Treiben von Sandy, Oli, Schumi & Co. nicht schaden.