Nach Gastbeitrag im stern Vorstoß zu AfD-Posten löst heftige Debatte aus

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP)
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) sieht keine parlamentarische Mehrheit für einen AfD-Politiker im Parlamentspräsidium
© Fotostand / Reuhl/ / Picture Alliance
Sollte der AfD ein Vize-Posten im Bundestagspräsidium zugestanden werden? Die Abgeordneten der anderen Fraktionen lehnen das bisher ab. Nun nimmt die Diskussion wieder an Fahrt auf.

Es ist eine symbolische und sensible Frage: Sollte die AfD im bedeutsamen Parlamentspräsidium vertreten sein? Seit ihrem Einzug in den Bundestag im Jahr 2017 waren die Rechtspopulisten als einzige Fraktion noch nie Teil des Gremiums, das beispielsweise über die Verhaltensregeln im Hohen Haus wacht. Sämtliche AfD-Kandidaten verfehlten die dazu erforderliche Mehrheit, zuletzt scheiterte Jörg Schneider im September an der Blockadehaltung der Bundestagsabgeordneten.

Christoph Ploß hat die Debatte nun erneut angestoßen. Der CDU-Abgeordnete beklagt in einem Gastbeitrag für den stern eine Aushöhlung parlamentarischer Rechte – und zeigt sich offen dafür, der Partei einen Vize-Posten zuzugestehen. "Die im Deutschen Bundestag inzwischen leider übliche Praxis, die AfD aus dem eigentlich fraktionsübergreifenden Bundestagspräsidium fernzuhalten, erfüllt mich mit Sorge", schreibt Ploß. Den gesamten Gastbeitrag lesen Sie hier. Sein Argument: Wenn man die eigene Geschäftsordnung, die für jede Fraktion im Prinzip mindestens einen Vizepräsidenten-Posten vorsieht, nicht ernst nimmt, kann das der Legitimität und Glaubwürdigkeit der Institution Bundestag schaden.

Der Vorstoß schreckt das Parlament auf und wird kontrovers diskutiert. Ploß wisse, dass ein Vizepräsident die Mehrheit des Bundestages benötige, um gewählt zu werden, sagte Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) dem stern. Diese werde es seiner Auffassung nach nicht geben. "Selbst in der Union steht er mit dieser Auffassung allein da", sagte der FDP-Vizevorsitzende. Ploß war bis April 2023 Hamburger CDU-Landesvorsitzender und gilt als Vertreter des eher konservativen Flügels seiner Partei.

Tatsächlich reagiert auch seine eigene Unions-Fraktion ablehnend auf den Vorstoß. "Die AfD ist eine mindestens in Teilen rechtsextreme Partei, die unserer Verfassungsordnung feindlich gegenübersteht", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer Hendrik Hoppenstedt dem "RND". Die Vize-Posten würden in freier und geheimer Wahl vom Bundestag gewählt, alle AfD-Kandidaten hätten die dafür erforderliche Mehrheit "aus guten Gründen" bisher weit verfehlt. Hoppenstedt: "Jeder Abgeordnete muss das Für- und Wider einer Wahl für sich selber abwägen. Ich unterstütze den Vorschlag von Christoph Ploß nicht."

Hitzige Diskussion um AfD-Posten im Bundestagspräsidium

Das Bundestagspräsidium hat großen Einfluss auf die Abläufe im Bundestag, ist zuständig für die Personalangelegenheiten der Bundestagsverwaltung, Genehmigung von Delegationsreisen oder die Überwachung und Einhaltung der Verhaltensregeln verantwortlich. Das Präsidium setzt sich aus der Präsidentin (Bärbel Bas, SPD) und ihren Stellvertreterinnen und Stellvertretern zusammen. Alle Fraktionen sind, gemäß gutem Brauch, in dem Gremium vertreten – mit Ausnahme der AfD, die deswegen kritisiert, dass sie ausgegrenzt werde.

Vor diesem Hintergrund sorgte die "sehr grundsätzliche" Entscheidung von Thüringens Ministerpräsidenten Bodo Ramelow für Aufsehen, auch mit seiner Stimme den Weg für einen AfD-Landtagsvizepräsidenten freizumachen. Der Linkspolitiker erklärte seine Entscheidung im März 2020 mit der "parlamentarischen Teilhabe, die jeder Fraktion zugebilligt werden muss".

Der Bundestagsabgeordnete Kassem Taher Saleh (Grüne) kann sich nicht vorstellen, einen AfD-Kandidaten zu wählen. "Demokratie bedeutet nicht automatisch ein Freifahrtschein für Rechtsextreme", sagte er dem stern. Die Freiheit des Mandats gebiete es, dass alle Abgeordneten bei der Wahl zum Präsidium ihrem Gewissen folgen würden und sich fragten, ob jemand aus der AfD-Fraktion die Würde des Hohen Hauses angemessen vertreten könne. "Wer eine Parlamentsdebatte leitet, muss die nötige Neutralität und Besonnenheit mitbringen. Das traue ich niemandem in der AfD zu", sagte Taher Saleh. Für ihn stehe fest, er wähle nur Personen ins Präsidium, die "mit beiden Füßen auf dem Boden unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen".

Auch die SPD-Fraktionsmanagerin Katja Mast lehnt einen Bundestagsvizepräsidenten der AfD entschieden ab. "Wieder einmal übernimmt die CDU alle Argumente der AfD", sagte die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin dem "Spiegel". Mast sagte, die Wahl eines Bundestagsvize sei ein demokratischer Vorgang. "Eine Entscheidung, bei der sich die Abgeordneten fragen, ob sie von rechtsextremen Kandidatinnen oder Kandidaten repräsentiert werden wollen. Zum Glück sieht das die Mehrheit des Bundestags anders als der CDU-Abgeordnete aus Hamburg", sagte die Sozialdemokratin.

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