Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg ist eine Erfolgsgeschichte. Nach den abscheulichen Verbrechen des Nationalsozialismus war es alles andere als selbstverständlich, dass unser Land innerhalb weniger Jahrzehnte eine stabile, gesellschaftlich tief verwurzelte Demokratie errichten, internationale Anerkennung erlangen und, wie Franz-Josef Strauß es einst formulierte, vom „größten Trümmerhaufen der Weltgeschichte“ zur „stärksten Wirtschaftsmacht Europas“ werden konnte.
Unerlässlich für die zügige Etablierung einer funktionierenden Demokratie mit starken Institutionen waren die großen Volksparteien, die maßgebliche Strömungen in der Gesellschaft erfolgreich integriert haben, und ein im Vergleich zu anderen Ländern eher durch Mäßigung und Kompromisssuche gekennzeichneter politischer Diskurs. Die dadurch begründete politische Stabilität war der Grundstein für die wirtschaftliche Entwicklung, die so vielen Menschen Arbeit und sozialen Aufstieg ermöglichte.
Die Institutionen, die Deutschland so erfolgreich gemacht haben, die Parteien der politischen Mitte und die liberale Demokratie insgesamt, werden derzeit von Populisten und Extremisten aller Couleur in Frage gestellt. Besonders bekommt dies derzeit die CDU zu spüren. Wie der Historiker Andreas Rödder zutreffend feststellt: „Die AfD hat das Ziel, die Union zu zerstören“. Wie soll die demokratische Mitte damit umgehen?
Die Antwort kann nur lauten, unsere demokratischen Institutionen, Standards und Traditionen hochzuhalten. Die historische Erfahrung zeigt, dass die institutionellen Dämme, die liberale Demokratien vor den anschwellenden Fluten ihrer Gegner schützen, nur sehr mühsam und langwierig wieder zu errichten sind, wenn sie einmal eingerissen wurden.
Die AfD-Abgeordneten sind demokratisch gewählt
Die im Deutschen Bundestag inzwischen leider übliche Praxis, die AfD aus dem eigentlich fraktionsübergreifenden Bundestagspräsidium fernzuhalten, erfüllt mich daher mit Sorge. Bei der in nahezu jeder Sitzung von einer deutlichen Mehrheit abgelehnten Wahl eines AfD-Vertreters geht es offensichtlich nicht mehr um die zur Wahl stehenden Personen, sondern darum, einer Partei ein ihr laut demokratisch beschlossener Geschäftsordnung zustehendes Recht zu verwehren.

Um es klar zu sagen: Die AfD ist eine mindestens in Teilen rechtsextreme Partei. Als Demokraten dürfen wir mit ihr nicht zusammenarbeiten und uns nie von ihr abhängig machen. Ihre Abgeordneten sind jedoch demokratisch gewählt und parlamentarische Minderheitenrechte sind ein hohes Gut! Sie auszuhöhlen birgt die viel größeren Gefahren für unsere Demokratie als ein einzelnes Mitglied eines Parlamentspräsidiums ihr zufügen könnte.
Denn dadurch wird nicht nur der überparteiliche Charakter des Bundestagspräsidiums und damit die Institution an sich geschwächt. Es beschädigt auch unsere Demokratie als Ganzes, wenn der Eindruck entsteht, sie würde sich nicht an ihre eigenen Regeln und Grundsätze halten. Das alles, ohne den gewünschten Erfolg zu erzielen: Weder die aktuellen Umfragewerte auf Bundesebene noch die jüngsten Wahlergebnisse in Hessen und Bayern lassen erkennen, dass diese Strategie zu einer Schwächung der AfD geführt hätte.
Auch der Blick ins europäische Ausland oder in die USA zeigt, dass reine Ausgrenzungs- und Isolationsstrategien nicht von Erfolg gekrönt sind. Dies liegt unter anderem daran, dass sie sich nicht nur gegen die Parteien und ihre Repräsentanten, sondern fast immer auch gegen die Anliegen ihrer Wähler richten.
Aus ihrer Geschichte muss die CDU Selbstbewusstsein schöpfen
Wir sollten die Repräsentanten dieser Parteien als Populisten und Extremisten entlarven, jede Zusammenarbeit mit ihnen verbietet sich; die CDU hat dazu eine sehr klare Beschlusslage. Aber mit den Themen, die deren Wähler umtreiben, müssen wir uns ernsthaft auseinandersetzen. Aus ihrem historischen Erbe kann und sollte die CDU dabei Selbstbewusstsein schöpfen: Nicht populistische Schreihälse oder die Sirenengesänge der Antidemokraten haben unser Land vorangebracht, sondern bürgerliche Tugenden, Soziale Marktwirtschaft und ein unerschütterlicher Glaube an die Demokratie und ihre Institutionen. Daraus sollte die CDU selbstbewusst eigene Ansätze entwickeln, statt auf wachsende Parlamentsfraktionen an den politischen Rändern bloß zu reagieren.
Damit waren wir schon einmal erfolgreich: Die „Republikaner“ verschwanden wieder in der Bedeutungslosigkeit, nachdem SPD und CDU mit dem Asylkompromiss Anfang der 1990er Jahre die Sorgen der Menschen ernst nahmen. In Dänemark verlieren die Populisten an Zustimmung, seit eine wohlgemerkt sozialdemokratische Regierung in der Zuwanderungspolitik eine Kehrtwende vollzieht und inzwischen darauf setzt, illegale Migration konsequent und ernsthaft zu bekämpfen.
Auch die AfD war – nachdem die Eurokrise auch dank des entschlossenen Handelns der CDU-geführten Bundesregierung zumindest eingehegt war – schon wieder fast von der Bildfläche verschwunden. Noch im Sommer 2015 lag sie laut allen großen Umfrageinstituten bundesweit zwischen drei und vier Prozent. Sie erreichte erst wieder ab Winter 2015 zweistellige Umfragewerte, als immer mehr Menschen das Gefühl hatten, ihre Sorgen vor einer unbegrenzten Zuwanderung würden von den anderen Parteien nicht ernst genommen.
Unsere Institutionen brauchen jede Legitimation
Ignoranz gegenüber den Sorgen der Menschen, wie sie etwa die Ampelkoalition beim Heizungsgesetz zeigte, trägt den Argwohn gegenüber demokratischen Parteien und Institutionen in die Mitte der Gesellschaft – und treibt die Wähler in die Arme von Populisten und Extremisten.
Unsere Antwort auf das Erstarken populistischer und extremistischer Parteien darf nicht sein, in Angststarre zu verfallen und wichtige demokratische Institutionen womöglich irreparabel zu beschädigen, indem man diese Parteien ausgerechnet dort ausgrenzt, wo ihnen demokratische Minderheitenrechte nun einmal zustehen. Stattdessen muss die demokratische Mitte mutig und selbstbewusst sein, mehr, nicht weniger Demokratie wagen, die politischen Sorgen der Wähler ernst nehmen, vernünftige Kompromisse ermöglichen und unsere demokratischen Institutionen stärken.
Denn diese werden wir nie mehr benötigen als dann, wenn unsere Demokratie ihre Wehrhaftigkeit unter Beweis stellen muss: Wenn Gesetze gebrochen werden oder antidemokratische Bestrebungen belegt werden können. Dann muss unser Rechtsstaat mit aller Härte durchgreifen – und dann brauchen unsere demokratischen Institutionen jedes Quäntchen Legitimation, Glaubwürdigkeit und Vertrauen, das wir ihnen geben können.
Christoph Ploß, 38, ist seit 2017 Bundestagsabgeordneter der CDU. Bis April 2023 war er Hamburger Landesvorsitzender seiner Partei. Ploß schaltet sich immer wieder pointiert in aktuelle Debatten ein. Er gilt als Vertreter des eher konservativen Flügels der CDU und als gewissenhafter Sportler. Hamburger sehen ihn häufig beim Joggen entlang der Alster.