"Wir wollen etwas ändern" Reese Witherspoon bläst zum Angriff auf Macho-Hollywood

Schauspielerin, Produzentin, Mutter - Reese Witherspoon übt sich in Multitasking. Ihre Mission schildert sie im stern-Interview: mehr Frauen-Power in Hollywood. Doch es sei noch ein langer Weg.

Der Film "Miss Bodyguard" ist das dritte Projekt Ihrer Produktionsfirma "Pacific Standard", nach "Gone Girl" und "Wild", in dem Sie ebenfalls die Hauptrolle spielten. Mangelt es an Angeboten, oder warum organisieren Sie sich Ihre Rollen mittlerweile selbst?

Ich habe die Produktionsfirma vor gut zwei Jahren gemeinsam mit Bruna Papandrea gegründet, weil ich die Nase voll hatte, weiterhin tatenlos zuzusehen, wie wenig attraktive Rollen für Frauen angeboten werden in Hollywood. Ich bin niemand, der nur jammert, ich packe lieber an und ändere etwas, wenn das möglich ist. Unser Ziel ist es, Filmprojekte zu realisieren, die von den Studios weitgehend ignoriert werden, weil sie als finanziell zu unrentabel eingestuft werden. Und das sind mittlerweile so ziemlich alle Filme, in denen keine Superhelden durch die Lüfte fliegen oder Fortsetzungen von Filmen, die sich als Kassenschlager etabliert haben.

Es wird vielfach davon gesprochen, dass Frauen über 40 es sehr schwer haben in Hollywood, weil man weibliche Rollen lieber mit jüngeren Darstellerinnen besetzt. Sie sind 39 – das bedeutet, ihr Stern ist demnach am Sinken?

Das will ich doch mal nicht hoffen. Ich war in diesem Jahr für einen Oscar nominiert für "Wild", ebenso wie Rosamund Pike für "Gone Girl". Dass wir mit unseren ersten beiden Filmprojekten gleich solche Erfolge einfahren konnten, macht uns nicht nur stolz, sondern zeigt uns auch, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir wollen etwas bewegen, wollen die Rolle der Frau in Hollywood weiter stärken, denn in dieser Hinsicht gibt es noch reichlich zu tun.

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Es müssen noch ein paar verkrustete Strukturen aufgeknackt werden. Ein Beispiel: Auf eine weibliche Regisseurin kommen derzeit im Schnitt sieben männliche. Der Männeranteil in der Academy, die jährlich die Oscars vergibt, beträgt 77 Prozent. Das spiegelt sich letztlich auch in den Nominierungen wieder. In diesem Jahr war in der Kategorie "Bester Film" kein Film vertreten, in dem eine Frau im Mittelpunkt der Geschichte steht. Es sind Änderungen in Gange, aber es ist noch ein langer Weg, bis Frauen in Hollywood gleichberechtigt sind.

Sie wollen eine Vorreiterin sein in Sachen Feminismus in Hollywood?

Ich bin vielleicht Feministin, aber sicher keine Vorreiterin. Da haben Frauen wie Sigourney Weaver, Holly Hunter oder Debra Winger schon viel früher den Grundstein gelegt. Ich bin aufgewachsen mit den Filmen dieser starken Frauenpersönlichkeiten, sie haben mich geprägt mit ihrer Arbeit. Und als Mutter einer pubertierenden Tochter frage ich mich: Wer sind für sie die Vorbilder im Kino wie es Sigourney, Holly oder Debra für mich waren?

Es gibt noch immer tolle Schauspielerinnen, aber es fehlen einfach die Rollen, in denen sie ihr ganzes Potenzial ausspielen können. Ich möchte mit meiner Produktionsfirma meinen Beitrag leisten, damit sich das ändert. Es geht mir dabei allerdings nicht nur darum, Frauen mit aller Gewalt in Kinofilmen zu platzieren. Der Inhalt eines Filmes ist schon auch wichtig. Geschichte wie die von Cheryl Strayed in "Wild" zu erzählen, das ist meine Passion.

Was ist dann die Botschaft von "Miss Bodyguard", einer, mit Verlaub, ziemlich seichten Frauenkomödie?

Es ist ein Film, in dem zwei Frauen die Hauptrollen spielen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die eine ist eine Latina, groß gewachsen, große Klappe. Die andere ist ein kleines Südstaaten-Gewächs, scheu und auf ihre Weise asexuell. Das ist optisch schon witzig. Wenn der Film eine Botschaft haben muss, nicht nur den einfachen Spaßeffekt, dann ist es die, dass Menschen aus unterschiedlichen Kulturen Freunde sein können und sich verstehen, trotz aller Verschiedenheiten.

Sie erspielten sich mit "Wild" in diesem Jahr eine Oscar-Nominierung. Einem Film, bei dem Sie auch körperlich an die Grenzen gingen. Wählten Sie auch deshalb mit "Miss Bodyguard" als Folgeprojekt eine Komödie ohne zu großen Tiefgang?

Ich habe im Laufe meiner Karriere immer wieder Komödien gedreht zur Abwechslung. Ich mag das Genre. Nach Filmen wie "Devil's Knot", "Wild" und "Inherent Vice" tat es mal wieder ganz gut, eine Komödie einzuflechten. Obwohl Komödien ja nicht wirklich leichter zu drehen sind als Dramen, wie immer wieder angenommen wird. Aber wenigstens hatte ich keine Nacktszenen und musste niemanden zu Grabe tragen. Mit Sofia Vergara, die im Film die störrische Zeugin spielt, die ich als etwas übermotivierte Polizistin nach Dallas überführen soll, hatte ich viel Spaß am Set.

Einige Ihrer Familienmitglieder sind Polizisten, oder?

Das stimmt. Aber die sind wesentlich bessere Polizisten als ich sie je spielen kann. Mein Cousin ist das Abbild eines perfekten Bullen (lacht).

Sie unterstützen die Kampagne "Ask Her More" – was genau wollen Sie damit bewirken?

Manchmal bin ich einfach frustriert, wenn man Filme wie "Wild" macht, der extrem hart umzusetzen war und in dem ich die schwerste Rolle meiner Karriere spiele, und dann bei der Premiere am roten Teppich gefragt werde, welcher Designer meine Schuhe entworfen hat. Wir arbeiten monatelang sehr hart an solchen Projekten, müssen Dutzende von Hürden meistern, stecken unser ganzes Herzblut in so einen Film, weil die Lebensgeschichte dieser Frau einfach unfassbar inspirierend ist. Da ist es doch klar, dass man vielleicht mehr zu sagen hat, als einen Designer-Namen.

Ich saß mal mit Julianne Moore in einem Interview und sie wurde danach gefragt, was sie dazu sagt, dass ein Hacker private Nacktfotos von Jennifer Lawrence ins Netz gestellt hat. Ich meine, mir fallen auf Anhieb 20 bessere Fragen ein für eine solche Frau. Ich verstehe, dass die Medien unter Druck stehen und die Chefredakteure diese Fragen einfordern, aber wir finden es einfach wichtig, dass man auch über die Arbeit sprechen kann, in die man so viel Gedankengut investiert.

Neben der Arbeit managen Sie auch noch eine Familie – mit zwei Teenagern und einem Kleinkind?

Oh ja, und beide Altersklassen haben ihre eigenen Herausforderungen (lacht). Ich will mich nicht beschweren, meine beiden älteren Kinder Ava und Deacon sind wunderbare Babysitter, die sind ganz verrückt nach dem kleinen Tennessee James

Wie vermittelt man als Multimillionärin den Kindern Werte, die nicht auf Geld basieren?

Sicher, wir haben einen gehobenen Lebensstandard. Was aber nicht heißt, dass meine Kinder alles in den Hintern geblasen bekommen. In ihrer Schule müssen sie sich jedes Jahr mehrere soziale Projekte aussuchen, bei denen sie mithelfen müssen. Die beiden waren schon in Altersheimen tätig und haben Müll am Strand aufgesammelt. Wir leben nicht in Saus und Braus und ich besitze auch nur ein Auto. Ich möchte den Kindern Vorbild sein und ihnen vorleben, dass materieller Besitz allein keinesfalls glücklich macht.

Interview: Andreas Renner

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