Mit seinen Gaunerballaden entzückte er das Pariser Publikum, für seine Schurkereien wurde er gefoltert und dreimal zum Tode verurteilt. Jetzt lebt er in der Verbannung STERN: Wein, Weib, Gesang, ist das noch immer Ihre Heilige Dreifaltigkeit?
VILLON: Schön wär's. Doch für den Wein und die Weiber fehlt mir das Geld, und was den Gesang angeht... Singen Sie mal, wenn Sie dauernd Blut spucken!
STERN: Sie haben sich also im Knast wirklich die Schwindsucht geholt?
VILLON: Oder beim Übernachten unter freiem Himmel. Schließlich war ich ja jahrelang auf der Flucht vor der Obrigkeit. Tatsache ist, ich mach' es wohl nicht mehr lange.
STERN: Daß Sie noch leben, ist sowieso ein Wunder. Man hat Sie dreimal zum Tod durch Erhängen verurteilt. Dreimal wurden Sie im letzten Moment begnadigt. Sind Sie einer, der Glück im Unglück hat?
VILLON: Erstens, zweimal hat man mich zu Unrecht baumeln lassen wollen. Da war ich unschuldig. Gut, das dritte Mal habe ich wirklich ein Priesterseminar ausgeraubt, mehr aber auch nicht. Außerdem, in französischen Gefängnissen zu sitzen und ab und zu gefoltert zu werden ist nun auch nicht gerade ein Glück.
STERN: Sie haben aber schon mal jemanden umgebracht?
VILLON: Lang, lang ist es her. Da mußte ich in Paris einen Pfaffen mit einem Stich in die Leiste kaltmachen. Reine Notwehr, das fette Schwein ging mit dem Schwert auf mich los, weil ich auf dieselbe Frau wie er scharf war. Ich wurde dafür auch nie angeklagt.
STERN: Würden Sie sich als Berufsverbrecher bezeichnen?
VILLON: In erster Linie bin ich Dichter. Damit kann man jedoch nicht reich werden. Was also sollte ich tun?
STERN: Vielleicht hätten Sie sich eine reiche Schöne suchen sollen.
VILLON: Die wollten doch alle nichts von mir wissen. So wie ich aussehe: 'Kahl und unbehaart, weder Bart noch Brauen, wie ein Rettich, den man schabt und schält' habe ich einmal über mich selbst gedichtet. Da blieben mir nur die Nutten.
STERN: Mit Ihren Poemen haben Sie sich also Ihren Frust von der Seele geschrieben?
VILLON: Schon irgendwie. Die Frauen, die ich glühend verehrte, ließen mich fast immer verprügeln, wenn ich ihnen an die Wäsche wollte. Aber denen habe ich's ganz schön zurückgezahlt mit Liedern wie 'Sie ist ganz wild auf Senf'. Ich hoffe, Sie verstehen, was ich mit Senf meine.
STERN: Bei den Nutten aber waren Sie ein ganz Großer.
VILLON: Ach Gott, wenn ich da nur an die fette Margot denke! Bevor sie mich bestieg, hat sie jedesmal einen gigantischen Furz gelassen. Ohne Aufpreis.
STERN: Nach dem letzten Todesurteil gegen Sie dichteten Sie 'Bald wird mein Hals erfahren, wie schwer mein Hintern ist'. So was könnte man Galgenhumor nennen.
VILLON: Hübscher Einfall, Galgenhumor, könnte von mir sein. Anders als mit Humor kann man die Aussicht, bald an einem Strick zu baumeln, aber auch nicht ertragen. Wissen Sie, daß in Paris die Straßenkinder die ausgedörrten Leichen der Gehenkten am Seil hin- und herschaukeln? So zum Zeitvertreib?
STERN: Doch im letzten Moment wurde die Todesstrafe in zehnjährige Verbannung umgewandelt. Seither haben Sie sich in der Provinz verkrochen. Schreiben Sie an neuen Spottgedichten?
VILLON: Ohne Geld und mit der Schwindsucht am Hals? Nein, o schnöde Welt, seit der fette Hintern von Margot nicht mehr für mich da ist, ist mit meinen Lenden auch meine Poesie versiegt.