Die Seite www.guerilla-store.com hat etwas Beunruhigendes. Vor einem Hintergrund, der aussieht wie die grob gepixelte Fotografie einer Kellerwand, steht das Wort "Propaganda". Dazu britzelt es ab und zu, als würden Fliegen in einer elektrischen Falle gegrillt. Dieses "Zztzzt, zztzzt" macht einen nervös, und das soll es auch, suggeriert es doch, dass die Leitung jeden Moment zusammenbrechen könnte. Und tatsächlich: Kaum hat man die Daten und Orte auf der Seite überflogen, schließt sich das Fenster. Werbung, die sich entzieht, statt sich aufzudrängen. Wo gibt es das denn? Beim japanischen Designer-Label Comme des Garçons, das das Konzept der Guerilla-Stores erfunden hat und sich auch deshalb zur Avantgarde zählt.
Der Charme der Subkultur
Für alle, die nicht ganz so hart am Wind sind: Guerilla-Stores sind Geschäfte, die fernab stark frequentierter Einkaufsstraßen eröffnen und schon nach wenigen Tagen, längstens aber einem Jahr, wieder schließen. Voraussetzung für die Eröffnung ist eine "authentische" Gegend mit Altbauten und dem Charme der Subkultur. Was das Interieur der Läden angeht, wird improvisiert, im Zweifel werden aber auch mal vorhandene Kacheln zerdeppert, damit es möglichst unbemüht und minimalistisch aussieht. So weit zumindest die Vision von "Comme des Garçons"-Designerin Rei Kawakubo und ihrem Lebenspartner, dem Briten Adrian Joffe, der auch Präsident des Labels ist. Ihren ersten Guerilla- oder Pop-up-Store eröffneten sie bereits 2004 in Berlin. Haben die meisten von uns diesen Trend verschlafen?
Wenn dem so ist, dann ist es Absicht. Die Attitüde des Labels ist nämlich: "Wir sind so cool, wir haben's gar nicht nötig." Wer also die meist schwarzen, oft zerrupft wirkenden Kreationen von Comme des Garçons kaufen möchte, der muss kämpfen. Der Kampf ist allerdings schon verloren, wenn man nicht gut genug vernetzt ist, um überhaupt zu erfahren, wo auf der Welt ein Guerilla-Store eröffnen wird. Mal ist es Athen, mal Beirut, die Hinweise sind spärlich: eine surrende Seite im Internet, ein paar Plakate im jeweiligen Stadtviertel. Das meiste läuft über Mundpropaganda, deshalb darf man sich als Insider fühlen, wenn man Bescheid weiß. Manche Fans nehmen sogar eine Weltreise auf sich, um dabei zu sein. Das ist das Event-Shopping, von dem andere Firmen nur träumen, einige sind allerdings schon aufgewacht. Weil nichts begehrenswerter ist als das, was man nur schwer haben kann, wird demnächst fast jeder wissen, was ein Pop-up-Store ist.
"Direkter geht Direktmarketing nicht"
Das Konzept funktioniert so gut, dass es sich auch unter Managern herumgesprochen hat. Selbst Wal-Mart eröffnete schon vor zwei Jahren einen Pop-up-Store in South Beach, Miami. Zwei Tage lang verkaufte der behäbige Einzelhandelsriese dort seine neue Modelinie. Und auch das französische Luxus-Label Louis Vuitton, das mit gigantomanischen Flagship-Stores sonst nicht gerade für Underground steht, hat Wind von der Sache bekommen. Die Rechnung ist einfach: Man spart sich kostspielige Anzeigenkampagnen – den Wirbel wird schon die Presse machen. Die Mieten für abgelegene Locations kosten auch nicht die Welt. Und wer kein Outlet hat, wird nebenbei die Sachen der letzten Kollektionen los, mit der Erklärung, dass man sich so ein besseres Gesamtbild von der Marke machen kann.
Vor allem aber könnte der Image-Gewinn nicht höher sein, und das ist die Sache, um die es eigentlich geht. "Man spricht die Opinion Leader direkt an, noch direkter geht Direktmarketing gar nicht", sagt Martin Schmieder von Häberlein & Mauerer, der Agentur, die auch hinter dem jüngsten Pop-up-Store der deutschen Firma Adidas steht. Das zu Adidas gehörige Label "Y3" hatte sich von Mitte März bis Anfang Mai in der heruntergekommenen Berliner Torstraße eingenistet.
Fashion goes jetzt art!
Als Avantgardist kann man es sich natürlich nicht leisten, neben Firmen wie WalMart und Gap seinen Guerilla-Store zu eröffnen. Adrian Joffe von Comme des Garçons wird romantisch, wenn es um neue Vermarktungsideen geht: "Nichts steht still – nur das Konzept und die Strategie bleiben dieselbe. Genau wie Guerilleros, die immer um Freiheit kämpfen, aber ihre Taktik währenddessen verändern." Deshalb ist Comme des Garçons auch schon einen Schritt weiter: Der aktuelle Store ist noch bis zum 26. August in den Räumen der Ausstellung "Radical Advertising" im NRW Forum in Düsseldorf untergebracht. Für alle, die es noch nicht wissen: Fashion goes jetzt art!
Da hatte übrigens Louis-Vuitton-Designer Marc Jacobs die Nase vorn. Schon Ende vergangenen Jahres war ein LV-Store Teil der Wanderausstellung des Japaners Takashi Murakami, der für die poppig-bunten Monogramm-Mutationen des Labels verantwortlich zeichnet. Kunst wird Kommerz, und Kommerz wird Kunst. Beide schmücken sich miteinander, spießbürgerliche Empörung ist einkalkuliert. Ob die Käufer die Ironie der neuen Museumsshops verstehen? "Zzt, zzt", macht es in ihren Köpfen, da kann man nicht lange nachdenken, nur schnell zugreifen.