Die so stolze französische Mode. Sie ist fest in ausländischer Hand. Bei Chanel entwirft ein Deutscher, für Christian Dior ein Engländer, im Haus Louis Vuitton gibt ein Amerikaner den kreativen Takt vor. Und das ist nur die Spitze der "feindlichen Übernahmen". Doch Gott sei Dank haben die Franzosen ja noch Jean-Paul Gaultier. Und seit ihnen der große Provokateur immer mehr von seiner klassischen Seite zeigt, lieben sie ihn umso mehr.
Gaultier, das gängige Klischee: Ein Designer, der Männer in Röcke steckt und Frauen Korsagen anzieht mit nichts darüber, versteht sich. Ein böser Bube, der Mode als untragbares Spektakel inszeniert und sich prächtig amüsiert, wenn das Publikum fassungslos auf den Laufsteg starrt.
"Die Extravanganz der Kleider ist am wichtigsten"
"Lange Zeit glaubte man, ich würde Mode entwerfen, um zu schockieren. Erst später haben meine Kritiker erkannt, dass mir bei aller Extravaganz die Kleider immer am wichtigsten waren", sagte Gaultier einmal. Doch sein Talent im Umgang mit Schnitt und Silhouette offenbarte sich eben erst beim genauen Blick unter die fantasievoll gestaltete Oberfläche.
Der 1952 nahe Paris geborene Gaultier fertigte schon als Schuljunge Modeskizzen an. Zum Leidwesen seiner Lehrer auch im Unterricht. Nach Assistenzstellen in verschiedenen Häusern, unter anderem bei Pierre Cardin und Jean Patou, debütierte er 1976 unter eigenem Namen. Schon bald elektrisierte sein Mix aus Sex, Kitsch und Humor ein junges und extrovertiertes Publikum. Doch erst 1997 fand er auch die große, allgemeine Anerkennung. Jean-Paul Gaultier entwarf erstmals neben der Mode von der Stange, der Pret-à-Porter, eine Haute-Couture-Kollektion.
Wie er die Pariser Branche rettete
Die große Pariser Maßschneidekunst galt in jener Zeit wieder einmal als vom Aussterben bedroht, ein Mann vom Schlage Gaultiers kam ihr gerade recht. Und mögen auch stets nur die Bilder seiner extravagantesten Modelle um die Welt gehen, in jeder seiner Couture-Shows findet auch tragbare Tagesgarderobe ihren Platz. Im Jahr 1999 veräußerte er dann 35 Prozent seiner Firmenanteile an das Pariser Luxusunternehmen Hermès. Und nicht nur das: Ab 2004 sollte er hier außerdem den Chefdesigner geben.
Die Branche war berauscht und besorgt zugleich. Würden ihm in Diensten des einst einem Sattlerbetrieb entwachsenen Edelklassikers alle kreativen Pferde durchgehen? Nein, Gaultier hatte nicht vor, Hermès die eigenen Werte aus den Kleidern zu schütteln. Sein Debüt glich eher einer Hommage, die er mit liebevoller Ironie untermalte. So integrierte er etwa die braunen, mit dem Hauslogo bedruckten Bänder, die in den Boutiquen als Verpackungsaccessoire dienen, als Druckmotiv auf einigen Kleidern.
"Der einzige Couturier mit Talent"
Nicht nur die Franzosen sind von so viel Takt bei all der kreativen Energie beglückt, auch seine Kollegen sprechen stets nur mit Hochachtung von dem 53-jährigen Designer. Giorgio Armani etwa beschied ihm, "etwas heute sehr Seltenes zu besitzen: einen eigenen Stil". Und Pierre Bergé, langjähriger Partner an der Seite von Yves Saint Laurent und sonst legendär für seine Stutenbissigkeit, sagte einmal: "Er ist weit und breit der einzige Couturier mit Talent."
Womöglich wäre Gaultier sogar der Nachfolger Saint Laurents in dessen Atelier geworden. Immer häufiger nahm er in den letzten Dienstjahren des Altmeisters als Zuschauer an den Defilees teil. Der Pakt schien beschlossen. Doch mit dem Verkauf des Hauses Yves Saint Laurent an die italienische Gucci-Gruppe erlosch diese Option.
Die revolutionäre Flamme lodert
Ist das Enfant terrible aber nun völlig domestiziert? Nun, im Jahr 2003 lancierte er eine Make-up-Serie mit Kajalstift und Puderdose für den Mann. Ein Tabubruch? Nicht für Gaultier: "Warum sollen sich nur Frauen schön machen dürfen? Früher putzten sich die Männer schließlich auch wie die Pfauen heraus." Die revolutionäre Flamme, sie lodert also doch noch in ihm.