Pünktlich zum Schuljahresbeginn entbrennt in Deutschland wieder einmal eine Diskussion um angemessene Kleidung im Klassenzimmer. Den Anstoß gab Christiane Götte, Vorsitzende des Bundeselternrats, die Schulen auffordert, Kleiderregeln für einen respektvollen Umgang miteinander zu schaffen. Dieser sei durch Klamotten wie Jogginghosen, Käppis und freizügige Tops gefährdet. Als Mutter zweier pubertierender Mädchen frage ich mich: Was geht nur vor in den Köpfen dieser selbst ernannten Stil-Wächter?
Meine Töchter tragen beide keine Trainingshosen in der Schule, aber allein das Verbot lässt meinen Adrenalinspiegel steigen. Bei jedem Elternabend werde ich aufgefordert, meine Kinder mit angemessenen Klamotten zum Unterricht zu schicken. "Wenn Ihr Kind in Trainingshosen kommt, signalisiert es ein Kein-Bock-Verhalten", heißt es dann gerne. Dass sich die Schule der Mädchen ausgerechnet für ihre demokratischen Prinzipien rühmt und die Anerkennung der Rechte des Einzelnen, lässt mich jedes Mal fassungslos zurück.
Lehrer fordern Respekt – aber geben ihn nicht zurück
Ich kenne die Diskussionen um angemessene Kleidung in der Schule noch von früher. Schon damals dachte ich: Das Grundgesetz wird in Modefragen außer Kraft gesetzt. Als seien Lehrerinnen und Lehrer blind, wenn es um das Recht der Kinder geht, ihre Persönlichkeit frei zu entfalten. Sie sollen ihren Charakter entwickeln, lernen, ihre eigene Meinung zu haben und zu vertreten. All das wird von Schulen gern unterstützt. Aber das Recht auf einen eigenen Stil bleibt den Kindern verwehrt. Lehrkörper fordern Respekt – aber geben ihn nicht zurück.
Zwar kann jede Schule einen Kleiderkodex definieren, aber es gibt keine gesetzliche Regel auf Landes- oder Bundesebene. Solange niemand – wie etwa durch ein rassistisches Slogan-Shirt – beleidigt wird, sollte man tragen dürfen, was man will. Die äußere Erscheinung sollte weder bei Kindern noch bei Erwachsenen eine Rolle spielen.
Dass eine Trainingshose etwas über das Energielevel eines Schülers aussagt oder gar den Unterricht stören könnte, ist absurd. Zwar wurde sie einst als Sportkleidung etabliert und nur selten im Alltag getragen, aber die Modetrends der letzten Jahre haben die Hose gesellschaftsfähig gemacht. Der verstorbene Designer Karl Lagerfeld soll einst gesagt haben, "Wer Trainingshosen trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren", doch war er einer der ersten, die nur wenige Saisons später die lässigen Beinkleider für Chanel laufsteg- und damit alltagstauglich machte. Da die Mode heute durch Sport und Musik, insbesondere durch Hip-Hop, inspiriert ist, hängen in vielen Geschäften weite Baggy Pants, Jogginghosen und Käppis. Sie sind kein Zeichen von Protest, sondern schlichtweg Mainstream.
Mädchen und Jungs lernen heute, ihren Körper zu akzeptieren
Ähnlich ist es mit Tops und bauchfrei geschnittenen Kleidungsstücken. Früher zog man sich sicherlich hochgeschlossener an, aber im Jahr 2023 gilt ein anderes Körperbewusstsein. Mädchen und Jungs lernen heute, ihren Körper zu akzeptieren, ihn nicht zu verstecken. Sie haben modische Vorbilder, Feministinnen, die ihre Rundungen bewusst inszenieren. Warum sollten Teenager ihnen nicht nacheifern? Solange sie bedecken, was zum Ärgernis werden könnte, müssen Lehrer und Lehrerinnen mit dem Anblick von hervorblitzender Haut zurechtkommen.
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Als Mutter bringt mich die Diskussion um anständige Schulkleidung auf die Palme. Dennoch versuche ich, das Positive daran zu sehen: Wenn meine Kinder und ihre Klassenkameraden nur durch Trainingshosen und Bauchfrei-Tops auffallen oder gar "rebellieren", scheint mit ihnen alles in Ordnung zu sein. Würden sie Shirts mit fremdenfeindlichen Parolen oder Springerstiefel tragen, würde ich mir ernsthafte Sorgen machen. Aber so ist die ganze Diskussion einfach nur Kindergarten.