Lucia Wolle in neuer Rolle

Großmutters Lieblingsmarke Lucia hat sich verjüngt - auch mit Hilfe einer Fernsehshow.

Ein bisschen verloren flattern sie im Wind, die weißen Lucia-Fahnen mit dem neuen, schicken Logo. Hamburgs Design-Meister Peter Schmidt, der bereits Jil Sander und Strenesse zu ihrem formschönen Auftritt verhalf, hat es entworfen. Klar: Vor einem modernen Glaspalast würden sie anders wirken, aber sie flattern nun mal am Stadtrand von Lüneburg vor ergrauten Flachdachbauten, gleich neben Eisen Schröder. Hier sitzt die Lucia AG.

Wer eine stilsichere Seniorin in der Familie hat, kennt die Marke Lucia. Viele Großmütter sind der Edelstrickmarke seit 40, 50 Jahren treu, aber weil sich mit denen allein kein Umsatz machen lässt, rumpelt es seit zwei Jahren unter den grauen Dächern in der niedersächsischen Kreisstadt. Zuerst mussten die Chefs raus, später flog die "Strickwarenfabrik" aus dem Firmennamen.

"Wir sind noch lange nicht fertig", sagt Patrick Pfohe, einer der beiden neuen Vorstände, und rückt seine Krawatte zurecht. Pfohe ist 35, faltenfrei, sein Händedruck kommt weich und freundlich; die Firma kennt er, seit er denken kann. Früher, nach dem Kindergarten, lief er oft durch die Strickerei, Opa Hans besuchen. "Dieses leise Rattern der Strickmaschinen", sagt er und tippt mit den Fingern auf den alten Schreibtisch. "Wer es einmal gehört hat, wird es nie wieder los."

Hans Pfohe, der Gründer von Lucia und Großvater von Patrick, hat nicht nur seinen Schreibtisch hinterlassen, als er im November 2004 starb. "Sein Geist weht durch die Firma", sagt der Enkel. Doch nicht sein Geist ist es, der neuerdings die Fernsehteams von RTL und dem WDR anzieht. Die Reporter kommen wegen Irina. Das Mädchen, das die Jury in Heidi Klums Topmodel-Show zu dick fand, wirbt nun für die Lucia AG - was PR-wirksam über die "Bild"-Zeitung eingefädelt wurde.

Das Büro von Opa Hans wird heute als Konferenzraum genutzt. Für das 50er-Jahre-Mobiliar würde man bei Ebay vermutlich ein Vermögen erzielen, aber das wäre nicht der Stil der Pfohes. Tradition, Vertrauen, Sparsamkeit sind die Werte, auf denen Lucia aufgebaut ist. Und auf einem Kuss: Hans Pfohe aus Chemnitz war 13, als ihn die blonde Lucia küsste. Nach dem Krieg schmuggelte er sein Mädchen sowie vier Handstrickmaschinen in den Westen, wo er 1948 die "Lüneburger Mechanische Strickerei" gründete. Lucia Pfohe entwarf, nähte und strickte, Hans fuhr Ware mit dem Fahrrad aus und sammelte dabei alte Pullover und Kleider ein, denn Rohstoffe waren knapp.

Als die Firma größer wurde, musste ein neuer Name her. Mit der "Lucia Strickwarenfabrik" kam der Erfolg: Es wurde gebaut, expandiert, exportiert, aufgekauft. 1971 brachten Pfohes die jüngere Linie "Lecomte" auf den Markt, und Lucia gehörte zu Deutschlands größten Modeunternehmen. Zum 25. Firmengeburtstag flog Hans Pfohe das gesamte Personal nach Paris - dazu Udo Jürgens, der abends Stricker, Geschäftsführer und Putzfrauen zum Schunkeln brachte.

30 Jahre später schunkelte in der Geschäftsleitung keiner mehr. Lucia Pfohe hatte sich Ende der Siebziger zurückgezogen, Hans machte weiter, bis sich sein Gesundheitszustand 2002 verschlechterte. Sohn Hans-Jürgen betrieb lieber eine Tennishalle, als Strickwaren zu verkaufen. Seit Anfang der Neunziger stagnierte der Umsatz - und mit ihm stagnierten Design, Technik und Investitionen. "Jeder wusste, dass sich etwas ändern muss", erinnert sich Patrick Pfohe, der 2002 in den Vorstand rückte, "aber keiner wusste, was." Der Enkel lernte schnell: "Nicht alles, was verändert wird, muss besser werden, aber damit es besser wird, muss man es verändern."

Binnen eines Jahres

wurden Strickmaschinen aufgerüstet und ein Werk in Rumänien ausgebaut. Großmutters Strickkostüme erlebten eine moderate Verjüngung und heißen jetzt "hochwertige Trendmode für die Best Agerin", sprich: die Frau ab 40. Die Kleider sitzen bequem und figurschmeichelnd statt eng und sexy. Keine Säcke, unter denen man unbemerkt zehn Kilo zunehmen kann, aber auch kein Design, mit dem man in Paris für Furore sorgt. "Wir setzen Trends sehr vorsichtig um", sagt Patrick Pfohe.

2005 verbuchte die Lucia AG, zu der neben Lecomte seit 2003 auch die Marke Clasen zählt, ein Vororderplus von acht Prozent. Über die genauen Zahlen spricht Pfohe noch nicht gern. Die müssen wahrscheinlich weiter steigen - auch mit Hilfe von Irina, 1,76 Meter, 52 Kilo. Das erste Shooting für Lecomte soll ein voller Erfolg gewesen sein, im Sommer wird Irina auf dem Catwalk laufen. Nicht in New York, sondern in Lüneburg. Aber da ist es eh gemütlicher.

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Miriam Indra

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