Henri liebt Betty. Und Henri liebt Monet – der Rest ist ein Geheimnis. Ein Geheimnis, auf das der New Yorker Dough Block im November vor zwei Jahren in Paris gestoßen ist. Mit seiner Frau Marjorie Silver feierte er in der Stadt der Liebe seinen 30. Hochzeitstag, wie er dem "Lonely Planet" erzählt. An ihrem letzten Tag wollten sie noch einmal durch die Straßen von Paris spazieren. Er zog seinen Reiseführer aus der Tasche. Heraus fiel ein cremefarbener Briefumschlag. "Betty" stand mit großen Blockbuchstaben darauf. Darin eine Karte mit einem Gemälde. Eine Frau im weißen Kleid, die auf einer Wiese unter Weiden sitzt und liest. Im Hintergrund die Seine. Claude Monet hatte es 1880 gemalt.
Block klappt die Karte auf. "Meine Liebste", steht dort in geschwungenen Lettern geschrieben. "Wirst Du mich am Musee D'Orsay suchen? Ich werde da sein, mit meinem Geist und meiner Seele, wenn auch nicht körperlich. Dort wirst Du meine Liebe zu Monet entdecken. Dort, meine Liebste, wirst Du mich hoffentlich ebenso finden, wie auch den Frieden und die Schönheit einer Stadt, in der ich so gerne wäre - mit Dir. Nachdem Du im Musee D'Orsay warst, trink einen Café au Lait in dem Straßencafé zu Deiner Linken. Ich liebe Dich mehr als es Worte sagen könnten, mein Engel. Du bist die Quelle meiner Freude. Nicht mit Dir in Paris zu sein, ist so schwer. Paris ist für zwei gedacht. Die Stadt der Liebe. Bitte behalte mich nahe an Deinem Herzen, bei jedem Schritt, den Du machst. Genieße es, Liebste. Avec Amor, Henri."
Der Beginn einer Obsession
Doch wer ist Betty? Und wer Henri? Und wie kam der Liebesbrief in den Reiseführer? Fragend sah Dough Block seine Frau an. "Woher haben wir dieses Buch?", fragte er sie, wie die "Washington Post" berichtet. Mit dieser Frage begann eine Obsession, die nun schon zwei Jahre andauert.
In New York arbeitet der 64-jährige Block als Dokumentarfilmer. So ist es kein Wunder, dass Henris Liebesbrief schon bald Gegenstand seines nächsten Projekts wurde. Eigentlich arbeitete er zu diesem Zeitpunkt an einem ganz anderen Projekt. Doch Henris Brief ließ ihn nicht los. "Der Brief hat mir die Möglichkeit gegeben, Detektiv zu spielen und ein Geheimnis zu lösen, auch wenn es vielleicht gar nicht lösbar ist", sagt er.
Betty war 91 und sprach sehr offen über ihr Liebesleben
Doch wie beginnt man eine Suche nach zwei Menschen, von denen man kaum mehr als die Vornamen kennt? Zunächst nahm Block sich den Reiseführer vor. Er geht davon aus, dass er ursprünglich Henri oder Betty gehört haben muss. 1999 ist er erschienen. Doch woher kam er? Das schmale Büchlein stand schon seit Jahren in seinem Bücherregal. Aus seinem Freundeskreis konnte sich niemand daran erinnern, es ihm irgendwann einmal geliehen oder geschenkt zu haben. Die einzige Betty in seinem Freundeskreis war schon 91 Jahre alt. "Sie sprach sehr offen über ihr Liebesleben und ich dachte tatsächlich eine Weile, ich sei auf der richtigen Spur", erinnert sich Block gegenüber dem US-amerikanischen Nachrichtensender "CNN Travel". Doch vergeblich. Auf dieser Fährte kam er nicht weiter.
Dann also der Brief. Block schloss aus, dass Betty aus seinem Bekanntenkreis kam, geht aber davon aus, dass Henri kein französischer Muttersprachler ist. Der Fehlende Accent auf dem Wort "Musee" und das der mysteriöse Autor "Amor" statt "Amour" schrieb, verleiten ihn zu der Annahme, dass Henri vielleicht eigentlich sogar Henry heißt, Amerikaner ist und sich nur aus romantischen Gründen zu einem Henri machte. Aber: Henri scheint schon häufiger in Paris gewesen, recht gebildet zu sein und einen Hang zu poetischer Sprache zu haben, schließt Block aus dem Brief.
Der Meinung ist auch ein Graphologe, ein Experte für Handschriften. Henri sei ein intelligenter aber sehr vorsichtiger Mann, der bei Betty seiner unterdrückten Leidenschaft freien Lauf lassen konnte. Ein Archivar scannte die Handschrift und verglich sie im Internet mit anderen Schriftproben. Ohne Erfolg.
Doch die Recherchen gehen noch weiter. Ein Detektiv konnte keine aussagekräftigen Fingerabdrücke auf dem Umschlag oder der Karte finden. Zu viele Menschen hatten sie inzwischen schon in der Hand gehabt. Er empfahl Block ein Medium, das ihm schon bei ein paar anderen Fällen geholfen habe.
Geheimnisvoller Liebesbrief: Vielleicht lag Henri im Sterben?
"Es ist so ergreifend. Sie haben sich wirklich so geliebt", habe das Medium Block gesagt, noch bevor es den Umschlag geöffnet habe. "Er glaubte, der Brief war eigentlich viel zu früh in ihrer Beziehung. Sie wollten zusammen sein, konnten aber nicht und mussten zurück zu ihren Ehepartnern gehen."
Und es geht noch dramatischer. Aus dem Motiv der Weiden schloss Block, Henri könne vielleicht sogar krank sein oder im Sterben liegen und deswegen nicht mit nach Paris gekommen sein. Schließlich sei die Weide das Motiv der Trauer.
Würde die Auflösung die Geschichte zerstören
Ein hinzugezogener Forensiker schien eine weitaus weniger romantische Ader zu haben als die bisherigen Experten: Anhand der Karte könne man rein gar nichts beweisen, so sein Ergebnis. Betty und Henri könnten ein Liebespaar, aber genauso gut ein Ehepaar gewesen sein und vielleicht sind Henri und Betty noch nicht einmal ihre richtigen Namen.
"Der Spaß besteht in den Spekulationen", so Block. "Jeder hat eine andere Theorie, wer es sein könnte. Vielleicht ist die Geschichte gar nicht so spannend und die Auflösung würde sie zerstören." Er wird dennoch weiter suchen und hofft, dass Henri und Betty noch irgendwo am Leben sind und irgendjemand Henris Handschrift erkennt – im besten Fall jemand, der weiß, wie die Liebesgeschichte endet.