Philipp Spiegel ist HIV-positiv. Er weiß das seit dem 2. Januar 2014. "Das Datum merkt man sich", sagt er. Es ist das Datum, das sein Leben in ein Vorher und Nachher teilt. Vorher bedeutete: Reisen, Unbeschwertheit, viele Frauen. Nachher hieß erst einmal: das Unmögliche akzeptieren. "Ich konnte es ganz lange nicht glauben, wollte es nicht wahrhaben. Das schien alles so unglaublich weit weg," erinnert sich Philipp. Ausgerechnet er - jung, gesund, heterosexuell, immer mit Kondom verhütet - sollte plötzlich HIV-positiv sein?
Angesteckt hat er sich bei einer Frau, die damals selbst noch nicht wusste, dass sie den Virus in sich trägt. Er hat keinen Kontakt mehr zu ihr - sie möchte das nicht. "Ich kann es auch verstehen. Zum Glück habe ich nie jemanden angesteckt, aber hätte ich es, ginge es mir wahrscheinlich auch nicht gut damit", sagt Philipp. Und: "Es wäre falsch, einen Schuldigen zu suchen."
"Ich habe lange Sex mit Angst verbunden"
Philipp Spiegel heißt eigentlich anders, aber seinen echten Namen will er in der Öffentlichkeit für sich behalten. Weil seine Familie nicht mit Fragen und Vorurteilen konfrontiert werden soll. Und auch, weil er sonst vielleicht gar nicht so offen über alles sprechen könnte. Nur so viel: Philipp ist 35 Jahre alt, arbeitet als Fotograf und Künstler und kommt aus Wien. Und: Er lebt heute wieder ein weitgehend normales und glückliches Leben. Nur die Sache mit dem Dating ist plötzlich verdammt kompliziert geworden.
"Frauen kennenzulernen ist sehr schwierig. Lange Zeit habe ich das komplett vermieden und mich zurückgezogen", erzählt Philipp. "Ich kam mir einfach nur giftig und schrecklich vor. Das Schlimme war, dass ich eine Zeit lang Sex mit Angst verbunden habe. Intimität war für mich etwas Bedrohliches. Es ging immer nur darum, wann ich es sage, wie ich es sage. Wie sicher bin ich wirklich?"
"HIV ist natürlich ein super Liebestöter"
Kurz nach der Diagnose begann er mit der Medikamenten-Therapie, dämmte den Virus damit innerhalb von wenigen Wochen so ein, dass er im Blut nicht mehr nachweisbar ist. Das ist bis heute so, täglich schluckt er dafür eine Pille. Philipp kann niemanden anstecken. Er hat keine Nebenwirkungen. Er kann normal Kinder kriegen. Das sind die rein medizinischen Fakten.
Aber wie soll man die seinem heißen Date vermitteln, wenn eigentlich geflirtet wird, die Stimmung entspannt sein soll? "Das ist natürlich ein super Liebestöter", sagt Philipp. "Ich sage es meistens indirekt: Wie würdest du dich verhalten, wenn ich dir sagen würde, dass ich HIV-positiv bin?" Die meisten Frauen seien in Schockstarre verfallen, wollten nichts mehr mit ihm zu tun haben. "Ich war dann abgestempelt."
Oft erzählt er es deshalb eben doch nicht sofort. Und muss so jedes Mal einen Vertrauensbruch begehen - der jedoch oft verziehen wird. "Das Erstaunliche ist: Wenn ich es Frauen später erzählt habe, also auch nachdem schon etwas gelaufen war, waren die meisten verständnisvoll. Schockiert vielleicht, aber sie waren mir nicht böse. Weil sie es verstanden haben und auch zugegeben haben, dass sie mich sonst nie näher kennengelernt hätten", erzählt Philipp.
Hilft das Outing von Conchita Wurst?
Er sagt es aber auch deshalb nicht jeder Frau, weil er nie in die Lage von Conchita Wurst kommen möchte. Die Sängerin hat sich in der vergangenen Woche als HIV-positiv geoutet, nachdem sie damit erpresst wurde. Die Shitstorms im Netz mit fiesen Kommentaren - Philipp glaubt nicht, dass ihr Outing anderen Betroffenen hilft. "Ich fürchte, dass das Gegenteil der Fall ist: Es zeigt, dass sogar jemand, der fest in der Öffentlichkeit steht, damit erpressbar ist. Wie soll sich jemand fühlen, der es nicht mal Freunden sagen kann?"
Erneute Aufmerksamkeit für das Thema gibt es dank Conchita Wurst allerdings schon, Philipps Telefon steht seither nicht mehr still. Und auch beim Thema Dating ist Bewegung: Gerade ist er in Spanien, wo er eine Frau kennengelernt und es ihr sofort gesagt hat. "Die hatte überhaupt kein Problem damit. Sie war aufgeklärt genug, um zu wissen, dass es keine Bedrohung ist."