Im Frühjahr 2021 präsentierte die damalige Bundesregierung zusammen mit den Ministerpräsidenten der Länder einen Stufenplan. Er sollte den Weg aus dem Lockdown aufzeigen. Wie die Studierenden nach drei Online-Semestern wieder in die Hörsäle zurückkehren sollten, daran hatte die Politik aber nicht gedacht.
Im Gespräch mit dem stern kritisierte der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Professor Peter-André Alt, damals diese Gedankenlosigkeit. Zugleich verwarf er den Gedanken, im Sommersemester könnten die Studierenden auf den Campus zurückkehren (das Interview lesen Sie hier). Ein Semester später ist aber genau das gelungen. Wie und unter welchen Bedigungen, das hat der Präsident der HRK nun in einem weiteren Gespräch mit dem stern erzählt.
Herr Professor Alt, Hochschulen und Clubs sind Orte, die von Studierenden besonders häufig besucht werden. Clubs gelten derzeit als Pandemietreiber. Wenn Sie wählen könnten: Würden Sie in der aktuellen Lage eher die Hochschulen oder die Clubs schließen?
Wir haben uns vor zwei Wochen zur Debatte um geöffnete Clubs und Fußballstadien geäußert und darauf gepocht, jetzt besonders auf den Bildungsbereich zu achten. Ich möchte gern, dass der Lehrbetrieb, wo die Inzidenzen das zulassen, fortgeführt wird. Die Schließung der Hochschulen steht nicht zur Debatte.
Also war es eine gute Idee dieses Semester wieder in Präsenz anzubieten?
Es war alternativlos, die Hochschulen wieder zu öffnen. Anderthalb Jahre lang haben wir unter enormen technischen und didaktischen Anstrengungen die Lehre digital aufrechterhalten. Gleichzeitig haben sowohl Studierende als auch Lehrende über psychosoziale Belastungen geklagt.
Bei unserem letzten Gespräch im Frühjahr hielten Sie die Öffnung der Hochschulen noch für komplett unrealistisch, vor allem wegen des hohen logistischen Aufwandes beim Testen und der Kontaktnachverfolgung. Was hat sich seitdem geändert?
Die Impfquote. Inzwischen sind 80, mancherorts sogar 90 Prozent der Studierenden geimpft. Das macht es natürlich viel leichter, die weiteren Voraussetzungen für sichere Präsenzlehre zu schaffen.
Welche Rolle spielten dabei die Impfangebote auf dem Campus?
An vielen Hochschulen konnten wir mit Impfmobilen arbeiten und vorhandene universitätsmedizinische Einrichtungen nutzen. Ich habe den Eindruck, dass die Impfangebote auf den Campus eine große Hilfe waren. Viele Studierende haben keinen Hausarzt, insofern war es für sie gut, eine Anlaufstelle zu haben. Das müssen wir auch beim Boostern hinbekommen.
80 Prozent der Studierenden sind geimpft, das heißt 20 Prozent sind es nicht. Stecken gesundheitliche Gründe dahinter?
"Gesundheitliche Gründe" gibt es so gut wie gar nicht. Zumindest sagen mir das alle Mediziner, mit denen ich im Gespräch bin. Objektiv sind diese Gründe zu vernachlässigen, auch wenn sie subjektiv eine Rolle spielen. Ob diese Studierenden sich aus ideologischen Gründen oder aus Angst nicht impfen lassen beziehungsweise noch Langzeitstudien abwarten wollen, wissen wir nicht. Ich habe den Eindruck, dass diejenigen, die sich in der Querdenker-Szene positionieren, eher einen geringen Teil ausmachen. Aber das sind Spekulationen.
An den Schulen sind die Infektionszahlen sehr hoch. Gibt es auch Zahlen zum Infektionsgeschehen an den Hochschulen?
Die Hochschulen dokumentieren solche Daten nur insoweit, wie das im Rahmen der Kontakt-Nachverfolgung notwendig ist. Wir werten die Daten nicht selbst aus, sondern geben sie an die Gesundheitsämter. Aber die Rückmeldungen von den Hochschulen deuten darauf hin, dass die Campus keine Hotspots sind. Da gab es ein, zwei Ausnahmen in Sachsen, wo die Lage insgesamt sehr bedrohlich ist. Ansonsten hatten wir bisher kein dramatisches Infektionsgeschehen an Hochschulen. Das dürfte daran liegen, dass die Studierenden, im Gegensatz zu den Schülern, weit überwiegend geimpft sind.
Erlangen, Rostock, Greifswald und Hamburg haben ihre Regeln verschärft. Nur wer geimpft oder genesen ist, darf auf den Campus. Was halten Sie davon?
Bei der HRK-Vollversammlung in Stuttgart vor zwei Wochen haben wir das diskutiert. Die Mehrheit hat sich damals dagegen ausgesprochen, diese Regelung verbindlich zu machen. Sie könnte Schwierigkeiten aufwerfen, sofern wir damit Ungeimpfte ausschließen. Das heißt aber nicht, dass es nicht richtig sein kann, wenn Hochschulleitungen sich lageabhängig dafür entscheiden.
Im Einzelhandel und bei Freizeitveranstaltungen ist es aber trotzdem möglich, Ungeimpfte auszuschließen. Was ist an den Hochschulen anders?
Das hängt von den landesrechtlichen Vorgaben ab, die immer auch einen Rechtsanspruch der Studierenden auf Teilnahme an Lehrangeboten abwägend einbeziehen müssen, solange diese nicht gegen die Campus- und Hausordnung verstoßen. Das tun getestete Ungeimpfte derzeit noch nicht, weil keine Impfpflicht besteht. Das heißt, wir müssen ihnen ein Lehrangebot machen, entweder virtuell, wenn eine 2G-Regelung auf dem Campus gilt, oder wie bislang in Form von 3G.
Für die Lehrenden ist das bestimmt ein großer Mehraufwand.
Ja. Tatsächlich müsste so jede Veranstaltung in zwei Varianten angeboten werden, das ist technisch und personell flächendeckend an den meisten Hochschulen nicht möglich. Große Vorlesungen können gestreamt und besucht werden, aber alles andere kann in der Regel nicht doppelt angeboten werden.
Die letzten anderthalb Jahre haben uns gezeigt, dass die Hochschulen virtuelle Lehre organisieren können. Wenn es lokal erforderlich wird, besteht also die Möglichkeit, relativ zügig wieder das Format zu wechseln. Das ist allerdings mit enormen Anstrengungen verbunden.
Wie optimistisch sind Sie, dass die Hochschulen den Winter über geöffnet bleiben? Für die Schulen werden ja schon wieder verlängerte Weihnachtsferien in Aussicht gestellt und in Bremen findet die Lehre ab dem 13. Dezember nur noch online statt.
Das hängt von den Gegebenheiten auf den Campus ab. Einige halten den Präsenzbetrieb aufrecht, manche führen hierfür sogar die 2G-Regelung ein, um die Sicherheitsstandards zu erhöhen. Und wieder andere entscheiden sich dazu, das Semester komplett virtuell zu Ende zu bringen. Besonders schwer haben es hier die Hochschulen in Sachsen und Bayern, wo die Inzidenz sehr hoch ist. Da muss man den Ländern und den Hochschulen zugestehen, abhängig von der jeweiligen Lage zu reagieren. Momentan gibt es also keine einheitliche Lösung.