Laut dem Wirtschaftsinstitut Prognos fehlen bis zum Jahr 2025 knapp 200.000 Erzieher und Erzieherinnen in Deutschland. Bei NEON erzählt eine Erzieherin anonym, mit welchen Problemen sie jeden Tag zu kämpfen hat.
Ich wollte schon immer etwas mit Kindern machen. Also habe ich nach dem Abitur zuerst eine Ausbildung zur Tanzlehrerin absolviert und dort schon mit jungen Menschen gearbeitet. Mit Mitte Zwanzig habe ich dann aber beschlossen, Erzieherin zu werden. Gerade bei jungen Kindern kann man unglaublich viel in der Erziehung erreichen und genau deshalb habe mich für den Job entschieden. Denn Kinder zu fördern und zu fordern macht mir einfach viel Spaß.
Elternersatz und Verantwortung
Ob Erzieherin mein Traumjob ist? Eine schwierige Frage. Es ist ein toller Job, aber es gibt einfach unglaublich viele Defizite, ob nun innerhalb der Ausbildung, beim fehlenden Personal oder beim Gehalt. Ich ersetze für viele Kinder komplett die Eltern und mache teilweise gefühlt zehn Aufgaben gleichzeitig, bei denen ich sehr viel Verantwortung trage. Und dafür bekomme ich 3000 Euro brutto im Monat. Wenn ich das mit einigen Berufen in der freien Wirtschaft vergleiche, fühle ich mich finanziell einfach nicht wertgeschätzt.
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Auch gesellschaftlich höre ich oft viele Vorurteile, zum Beispiel, dass man als Erzieherin ja nur mit Kindern spiele. Aber diese Zeiten sind längst vorbei: Bei uns in der Kita haben wir beispielsweise ein Kinderparlament organisiert, in dem die Kinder über Veränderungen innerhalb der Kita abstimmen konnten. Zudem dokumentieren wir in Lerngeschichten, welche Fortschritte die Kinder machen. Damit können die Eltern sehen, was ihre Kinder erleben. So etwas braucht Aufmerksamkeit, Zeit und Ressourcen – aber die haben wir aktuell einfach nicht.
900 Stunden umsonst arbeiten
Natürlich wusste ich schon aus meinen Praktika, wie die aktuelle Lage in Deutschland als Erzieherin ist. Denn um sich überhaupt auf die Vollzeitausbildung als Erzieherin zu bewerben, musste ich vorher schon 900 Stunden in der Kinderbetreuung gearbeitet haben. Das heißt, ich habe eigentlich immer unbezahlte Praktika gemacht, bei denen ich als Vollzeitkraft eingesetzt wurde. In meiner Ausbildung bei der Stadt habe ich dann Gehalt bekommen: Am Ende waren es netto 650 Euro im ersten, 750 Euro im zweiten und etwas mehr als 900 Euro im dritten Jahr.
Die Erzieherausbildung ist schulisch, das heißt, sie findet hauptsächlich an einer Berufsfachschule statt und man bezahlt normalerweise selbst dafür. Man geht zwei Jahre zur Schule und erst im dritten Jahr, dem Anerkennungsjahr, arbeitet man und bekommt meist eine Art Aufwandsentschädigung. Daher habe ich mich bei der Stadt beworben – dort (und auch bei anderen Trägern wie der Kirche) kann man eine duale Ausbildung machen, bei der man auch Geld verdient. Allein beim Assessment Center waren wir damals um die 70 Leute – beworben haben sich auf die zwei freien Plätze noch deutlich mehr.
Allein mit 30 Kindern
Während meiner Ausbildung habe ich dann in einer städtischen Kita gearbeitet. Dort waren die Kinder offiziell zwischen vier Monaten und sechs Jahren alt und wir hatten von 7 bis 18 Uhr geöffnet. Diese Zeiten haben wir mit durchschnittlich 23 Mitarbeiterinnen in Schichten abgedeckt. Die Kita hatte ein offenes Konzept – das heißt, die Kinder konnten sich zwischen den einzelnen Räumen frei bewegen und spielen, wo sie wollen. Im besten Fall waren wir zwei Erzieherinnen in einem Raum für teilweise bis zu 30 Kinder.
Aber es konnte eben auch schon mal vorkommen, wenn Kolleginnen krank waren oder jemand das Essen vorbereiten musste, dass man allein mit 30 Kindern war. Auch in meiner neuen Kita, in der ich nach der Ausbildung begonnen habe, ist es ähnlich. Dort sind zwei Vollzeitstellen überhaupt nicht besetzt. Wenn Kolleginnen krank sind, können wir viele Räume für die Kinder nicht öffnen – und ich muss eben allein auf mehr Kinder aufpassen.
Frühkindliche Erziehung gerät in den Hintergrund
In dieser Situation fühle ich mich oft einfach nur überfordert, denn ich habe schließlich die Verantwortung für alles, was passiert. Ich kann eigentlich nur noch versuchen, das Schlimmste zu verhindern, damit keiner irgendwo runterfällt, niemand einem anderen wehtut oder sich irgendwo verletzt. In solchen Momenten hätte ich gerne mehr Arme und mehr Augen. Bei diesem Pensum gerät außerdem die frühkindliche Erziehung total in den Hintergrund. Meine Aufgabe ist es ja eigentlich, Kinder zu fördern und ihnen neue Dinge beizubringen. Aber das geht nicht, wenn man nur damit beschäftigt ist, das Gröbste zu verhindern. Mir ist zum Glück nie etwas wirklich Schlimmes passiert – aber es gab Momente bei Kolleginnen, in denen Kinder hingefallen oder irgendwo runtergefallen sind, weil sie eben nicht eingreifen konnten.
Hinzu kommt außerdem, dass ich mich ja nicht nur um die Kinder kümmern muss, sondern neben der Arbeit noch Elterngespräche vorbereite, Portfolios für die Berufsschule erstelle oder Lerndokumentationen über die Fortschritte der Kinder schreibe. Eigentlich steht einem dazu eine gewisse Zeit in der Woche zur Verfügung, in der man nicht auf die Kinder aufpassen muss – aber diese Zeit bleibt eigentlich nie. Innerhalb der Ausbildung musste ich darüber hinaus abends nach der Arbeit noch lernen. Meine duale Ausbildung enthielt zudem einen Bachelor-Studiengang. Das heißt, ich habe zwischendrin noch Lehrproben und habe Hausarbeiten geschrieben, wie jeder Student.
Eltern merken oft nichts
Die Motivation, dieses Pensum durchzuhalten, geben einem eigentlich immer die Kinder: Wenn du von ihnen umarmt wirst und jemand sagt "schön, dass du da bist", dann weißt du, warum du diesen Job machst. Die Eltern merken unseren Stress zum Glück meist auch nicht und sind sehr verständnisvoll, auch wenn sie sehen, dass viele Kollegen krank sind.
Was ich mir wünschen würde? Wer diesen Job mit Herzblut macht, der kann wirklich viel erreichen, und auch in Kitas, die ein bisschen älter sind, neuen Wind bringen. Aber dafür braucht man auch eine gewisse Motivation. Mir würden aktuell schon 500 Euro mehr Verdienst im Monat reichen, um neben der Arbeit meinen Alltag etwas entspannter gestalten zu können. Dann müsste ich mir nicht noch neben der beruflichen Belastung Sorgen um die Miete machen oder mich fragen, ob wir dieses Jahr wirklich in den Urlaub fahren können. Und mit diesen Sorgen bin ich nicht allein – fast allen Menschen, die in sozialen Berufen arbeiten, geht es mittlerweile ähnlich. Zudem sollte auch die schulische Ausbildung überarbeitet werden. Wir haben neben den pädagogischen Teilen zum Beispiel höhere Mathematik gemacht oder eben Hausarbeiten geschrieben – das nimmt wirklich viel Zeit in Anspruch und für den Job braucht man es im Endeffekt nicht.
Mehr Anerkennung
Auch Kleinigkeiten würden schon einen großen Unterschied machen: Wie beispielsweise kostenlose Sportangebote oder Fortbildungen, die die meisten Erzieher aktuell selbst bezahlen. Langfristig könnte ich mir gut vorstellen, irgendwann an die Grundschule zu wechseln oder vielleicht in einer Kita eine Leitungsfunktion zu übernehmen, aber nur in Stellvertretung. Denn als Leitung hat man unglaublich viel Papierkram zu erledigen und eigentlich gar nichts mehr mit den Kindern zu tun. Aber ich hätte einfach gern schon jetzt das Gefühl, dass die Gesellschaft und der Staat meiner Arbeit mehr Anerkennung schenkt.
* Name von der Redaktion geändert