A-O. Bei dem Geräusch bekomme ich Gänsehaut. Es erinnert mich an eine Zeit, in der meine größten Sorgen waren, bei wem ich die Mathehausaufgaben am nächsten Morgen abschreiben kann - und warum mich der süße Typ aus der Nachbarklasse nicht bei ICQ anschreibt. In der Zeit zwischen 13 und 18 habe ich unzählige Stunden damit verbracht, darauf zu warten, dass ER online kommt (ER war gefühlt jedes Jahr jemand anderes). Wenn ich Liebeskummer hatte, war meine Status-Nachricht immer besonders dramatisch, am liebsten Zitate aus Songs von Paramore, The Killers oder Amy Winehouse (er MUSS doch so endlich checken, dass ich in ihn verliebt bin!!!). Ihr merkt: Subtile Botschaften waren mein Ding - deswegen hat es damals wohl auch nie mit den Typen geklappt.
Trotzdem denke ich unheimlich gern an diese - aus heutiger Sicht - unbeschwerte Zeit zurück. Aber was ist eigentlich aus ICQ geworden? Ich will mich wieder einloggen! Und zwar mit meinem alten Account! Dass das so kompliziert wird, konnte ich ja nicht ahnen ...
ICQ-Wiederbelebungsversuch Nr. 1
Es ist nicht mein erster Versuch. Vor drei Jahren, an einem Samstagabend, saßen wir in zu dritt in unserer WG-Küche und tranken Wein, als wir in Erinnerungen an die guten alten Nullerjahre zurückdachten und uns spaßeshalber die ICQ-App runterluden, um uns einzuloggen. Meine ICQ-Nummer kann ich nach wie vor im Schlaf aufsagen. Was heute die Handynummer oder der Name bei Instagram ist, war damals die ICQ-Nummer. 310-035-599 - diese neun Zahlen sind für immer in mein Gehirn gebrannt (wer möchte, kann mich natürlich gerne adden ^^ cya). Nummer ins Login-Feld eingetippt ... Passwort?! Ich probierte mich gefühlt durch alle Passwörter, die ich je hatte. Scheiße. Zurücksetzen ist keine Option. Die Mail-Adresse mit der ich mich damals angemeldet hatte (happy-dennilein@web.de), habe ich (aus Scham) schon vor Jahren gelöscht. Na toll. Egal.
Irgendwann war die Sache auch wieder vergessen. Bis vor ein paar Wochen, da ging mir einfach nicht mehr der Gedanke aus dem Kopf: Ich will jetzt meinen alten Account zurück! Noch einmal dieses Kribbeln spüren, wenn das Nebelhorn erklingt:
Hilferuf nach Russland
Wenig hoffnungsvoll wende ich mich an den ICQ Support und erkläre meine Situation. Zwei Tage später bekomme ich eine Antwort aus Russland. 2010 verkaufte AOL den Instant-Messanger-Dienst an ein russisches Investmentunternehmen. Um zu beweisen, dass der Account wirklich mir gehört, soll ich ihnen ein paar Fragen beantworten. Kurze Euphorie steigt auf. Juhu, sie haben nicht sofort NEIN gesagt! Doch die Fragen haben es in sich:
- Wann war der ungefähre Zeitpunkt deiner Registierung? - Ähm.
- Wann hast du das erst Mal gemerkt, dass du dich nicht mehr einloggen kannst? -Ähm.
- Wie viele Kontakte hattest du ca. in einer Kontaktliste? - Ähm.
- Nenne uns einige ICQ-Nummern einer Kontakte. - Ähm.
Das wird härter als gedacht. Keine der Fragen konnte ich zufriedenstellend beantworten. Ich bin verzweifelt. Dann ein Lichtblick: Ich solle drei Kontakte aus meiner Liste finden, die dem Support über ihren Account meine Glaubwürdigkeit bestätigen können. Ha! Fragt doch gleich nach ein paar Tropfen Einhornblut. Nach - für beide Seiten - verstörenden Nachrichten ("Frag nicht wieso, aber kennst du deine ICQ-Logindaten noch? [...] Ja, ich meine das ernst.") an meine Freunde und Bekannte, habe ich tatsächlich drei Leute gefunden! So muss sich ein Schiffbrüchiger fühlen, der am Horizont ein Schiff entdeckt.
Nach unzähligen Erklärungsversuchen und einer zwei Wochen andauernden Korrespondenz nach Russland, ist es endlich so weit: Ich kann mich wieder einloggen.
Willkommen zurück ... nicht.
Endlich! Endlich! Endlich! Ich kann es kaum erwarten. Vielleicht hat mir nach meinem letzten Login vor hundert Jahren ja noch jemand geschrieben. Vielleicht ist ja sogar noch jemand online ...
Der Aufprall auf den Boden der Tatsachen ist schmerzhaft. Es fühlt sich gar nichts an wie damals, als man sich noch stundenlang MP3s via ICQ schicken musste, weil es keine Streamingdienste gab. Als man noch warten musste, dass jemand online kommt, weil niemand ein Smartphone hatte. Als man noch "Computerzeit" hatte und nicht ständig erreichbar war. Hach, schön war das ...
Aber jetzt? Wo ist "Slide-a-Lama"? Die nervigen "zTers" ("I can't hear you, I'm not listenig. Nanananananananana.")? Kein Nebelhorn, keine einzige grüne Blume, keine ungelesene Nachricht. Niemand da. Stattdessen gibt es jetzt Video-Chats mit Hasen-Filtern, Sprachnachrichten und fancy Sticker zum verschicken.
Das war's jetzt? Dafür habe ich zwei Wochen lang alle Hebel in Bewegung gesetzt?!
Jetzt habe ich wohl doch wieder Liebeskummer, wie damals mit 13. Danke, ICQ! In meiner Erinnerung warst du so unterhaltsam. Ich erinnere mich noch an unsere erste Begegnung: Der Tag, an dem mein Vater mir endlich erlaubt hat, dich auf seinem Computer zu installieren, war gefühlt der bis dato schönste Moment in meinem Leben! Aber es ist wohl meine eigene Schuld, schließlich habe ich dich damals für Facebook und WhatsApp verlassen. Wie schön etwas war, merkt man wohl doch erst, wenn es weg ist.
Vielleicht schreibe ich ein Herzschmerz-Zitat in meinen ICQ-Status. Dort, wo es niemand mehr lesen wird.
(Zur Aufmunterung aber noch eine kleine Info: "Slide-A-Lama" kann man tatsächlich auch im Browser zocken. Ihr müsst euch nur einen Spielpartner suchen, der mit euch vor dem Computer hockt, denn sonst spielt ihr gegen euch alleine.)