Ostern 2015. Ein junger Mann steht im Backstage-Bereich einer Bühne. Davor warten 15.000 Menschen, die vor allem seinetwegen gekommen sind. Denn sein Song ist von den Hörern des Radiosenders Radio Hamburg zum derzeit beliebtesten gewählt worden. Zurückhaltend, fast schüchtern fragt er, ob er sich am Catering-Essen bedienen darf. Natürlich darf er das. Er ist schließlich einer der Stars des Abends. Doch damals sei das für ihn noch alles Neuland gewesen, sagt er heute.
Mit seinem Remix des Songs "Cheerleader" des R'n'B-Sängers OMI schafft der damals erst 20-jährige Felix Jaehn seinen großen Durchbruch. Drei Jahre später ist er einer der erfolgreichsten DJs in Deutschland. Ein Top-Ten-Hit folgt dem nächsten. Er wird überschüttet mit Preisen. Am 16. Februar kommt nun auch noch sein Debütalbum "I" (Anm. d. Red. Englisch gesprochen – ich) raus. Und trotzdem hat er es geschafft, auf dem Boden zu bleiben: "Für mich ist es immer ganz wichtig, nach Hause zu fahren, durchzuatmen, meine Freunde, meine Familie zu sehen und zwischendurch runterzukommen", sagt er. "Ich brauche einfach Zeit, diese Achterbahnfahrt des Erfolges zu verarbeiten, und so ist es mir auch gelungen, Ich selbst zu bleiben – hoffe ich zumindest."
Es sind nicht nur irgendwelche leeren Worte, die der gebürtige Hamburger von sich gibt. Jaehn ist tatsächlich auf dem Boden geblieben. Dieser Moment im Backstage-Bereich vor drei Jahren beschreibt seinen Charakter ganz gut. Der große Unterschied zu damals: Er ist mittlerweile dick im Geschäft. Im Gegensatz zu 2015, als er noch ein Newcomer war, wird das Catering heute extra seinetwegen bestellt. Die Umstände haben sich geändert. Heute wird er in einer schwarzen Limousine zum Interview vorgefahren. Managerin im Gepäck. Versteht sich von selbst. So ist das eben, wenn man bei einem Major-Label unter Vertrag steht. Da wird sich um alles gekümmert.
Erst 23 Jahre alt, aber schon ein echter Medienprofi
Der Termin-Kalender ist gerade prall gefüllt. "Vorher waren wir noch bei einigen Radiosendern. Jetzt halt bei euch", sagt er. "Das geht die nächsten zwei Wochen so weiter." Er trägt eine Jogginghose und dazu einen coolen Sweater. Eine neue Frisur hat er auch noch. Til-Schweiger-kurz. Kein Schnitt. Alles eine Länge. Dazu hält er noch ein bisschen Smalltalk. Über sein iPhone X. Er hätte sich viel lieber das "8er" geholt. Mit der neuen Face-ID habe er sich noch nicht angefreundet, sagt er.
Der Junge aus einem ganz kleinen Dorf an der Lübecker Bucht achtet ganz genau darauf, was er sagt und was nicht. Er ist ein absoluter Medienprofi – und das mit 23 Jahren. Ein Moment, der das sehr gut verdeutlicht, ist, als er über Schlager redet: "Mit Après-Ski kann ich gar nichts anfangen", sagt Jaehn. "Das ist überhaupt nicht meine Musik." Das wäre eigentlich eine deutliche Aussage, mit einem klaren Standpunkt, wenn er nicht noch folgenden Satz hinzugefügt hätte: "Also nicht falsch verstehen, ich respektiere jeden Künstler und die Arbeit dahinter, aber es ist nicht meine Musik." Das hat fast schon etwas von einem Business-Manager. Er trifft zunächst eine klare Aussage und relativiert sie gleich wieder.
Irgendwie hat man dadurch das Gefühl, dass der DJ auf gar keinen Fall anecken will. Er will als bodenständiger, junger, sympathischer Typ wahrgenommen werden. Deshalb ist jede Aussage durchdacht. Als es zum Beispiel um seinen ersten großen Erfolg, den Cheerleader-Remix von OMI, geht, ist er wieder so durchdacht. "Ehrlich gesagt hatte ich bis heute keinen Kontakt zu OMI", sagt er. "Dabei habe ich es damals über Social Media, über sein Management und über sein Musik-Label versucht."
Felix Jaehn hat BWL im Blut
In genau solchen Momenten wünscht man sich, dass er auch einmal klare Kante zeigt. Schließlich wäre OMI ohne Felix Jaehn nie so erfolgreich gewesen. Der Jamaikaner hatte "Cheerleader" nämlich bereits 2012 veröffentlicht. Seine Version flog völlig unter dem Radar. Erst als der Remix zwei Jahre später rauskam, wurde aus "Cheerleader" ein Welthit. Erst deswegen konnte der Sänger überhaupt ein Debütalbum rausbringen, womit er auch noch Erfolg hatte. Da wär Dank nicht nur angebracht gewesen, sondern fast schon unabdingbar. Aber Jaehn meckert nicht. So sei nun einmal das Musikgeschäft, sagt er.
Da ist er wieder der Geschäftsmanager, der sich denkt: Solange es bei mir gut läuft, muss ich auch nicht meckern. Er ist ein Stratege. Kein Wunder, schließlich hat er das im Blut. Sowohl seine Eltern als auch seine Brüder sind allesamt BWLer. Auch er hatte zunächst ein BWL-Studium in Berlin angefangen, das aber bereits nach einem Semester abgebrochen. Es sei ihm zu trocken gewesen, sagt er: "Ich hatte dann eine Zusage für einen dualen Studienplatz für Medienmanagement bei einer Plattenfirma. Das war für mich der Kompromiss – zwischen Praxis und Theorie. Im Oktober 2014 sollte ich dort anfangen." Bekanntlich kam es nie so weit. Stattdessen ging es steil bergauf mit seiner Karriere. Nun kommt sein erstes Album. Es wird bestimmt nicht sein letztes sein. Dazu ist er zu professionell, zu erfolgreich und zu bodenständig – der Business-Manager hinter den Turntables.