Max Verstappen jubelt, denn er hat es wieder einmal geschafft, den Berg zu bezwingen – genauer gesagt: er hat zum zweiten Mal in Folge den österreichischen Grand Prix in Spielberg gewonnen. Und er hat etwas geschafft, was in dieser Saison bislang noch niemandem gelungen ist: Er hat die Silberpfeile bezwungen, die sich beim Betreten der höchsten Stufe des Siegertreppchens bislang weitestgehend abgewechselt hatten.
Doch bis dieser Sieg endgültig bestätigt war, sollten noch drei Stunden vergehen. Drei Stunden, in denen die Stewards intensiv über einen Vorfall diskutierten, der für die meisten Fans des Sports ein einfaches Racing-Manöver gewesen sein dürfte: Es läuft die 69. von 71 Runden, als Verstappen in Kurve drei innen an Leclercs Ferrari vorbeiziehen will. Er fährt eine aggressive Linie, lenkt vielleicht ein bisschen später ein als in den vorherigen Runden. Leclerc wird leicht von der Strecke gedrängt und muss seine Führungsposition an den 21-jährigen Red-Bull-Fahrer abtreten, der das Rennen zwei Runden später als Sieger beendet.
Das war dank Max Verstappen das bisher beste Rennen der Saison
Manche würden das die logische Konsequenz einer rundenlangen Aufholjagd nennen, die Verstappen aufgenommen hatte, nachdem er wegen eines Fehlers beim Start von Position 2 auf 7 zurückgefallen war. Mit ein paar wahnwitzigen Überholmanövern und einer Renngeschwindigkeit, bei der auch Ferrari und Mercedes nur staunen konnten, arbeitete sich der junge Holländer stetig zurück an die Spitze des Feldes – und machte das Rennen nebenbei zum bisher spannendsten der Saison. Wie viel schneller er als Leclerc war, sah man sofort nach dem Überholmanöver: Verstappen setzte sich sofort fast zwei Sekunden ab.
Doch noch während sich die Fans zu Hause von der völlig unerwarteten Aufregung erholten (man hatte sich ja in den letzten Monaten an ein gewisses Schnarch-Level bei den Rennen gewöhnt), blendete die Regie das Zeichen ein, das wir alle befürchtet hatten: "Under Investigation", stand da, "Charles Leclerc, Max Verstappen". Die Stewards hatten entschieden, sich den Vorfall in Kurve 3 noch einmal anzusehen, um sicherzustellen, dass die leichte Berührung zwischen den beiden Wagen auch kein unfaires Verhalten gewesen sei. Während Verstappen seinen ersten Saisonsieg feierte: "Das war hartes Racing. Wenn wir nicht mehr kämpfen dürfen, dann können wir gleich zuhause bleiben", schmollte Ferrari-Jüngling Leclerc: "Für mich war es im Auto relativ klar. Beim ersten Versuch hat mir Max am Ausgang der Kurve noch eine Wagenbreite Platz gelassen. Bei seinem zweiten Angriff war das nicht mehr der Fall."
Christian Horner: "Es war hartes, aber faires Racing."
Ganz ehrlich? Mimimi! Das ist Rennsport, Freunde. Da haben die vor ein paar Jahren noch GANZ andere Sachen gemacht. Und auch, wenn man natürlich aufpassen muss, dass man sich und seine Mitfahrer nicht in unnötige (zusätzliche) Gefahr bringt, braucht man sich da nicht mit Samthandschuhen anfassen. Und ja, Christian Horner ist als Teamchef von Red Bull vielleicht nicht zu 100 Prozent objektiv gewesen und doch muss ich ihm zustimmen, wenn er sagt: "Es war hartes, aber faires Racing. Das wollen wir doch in der Formel 1 sehen."
Auf Social Media tummeln sich nun schon wieder diejenigen, die die Scuderia und sich selbst als Ferrari-Fans schlecht behandelt sehen und Max Verstappen den Sieg nicht gönnen (anscheinend völlig unabhängig davon, dass der Junge gestern das Rennen seines Lebens gefahren ist.). Er habe den Sieg geklaut, heißt es da, er habe unfair gekämpft. Natürlich werden auch Vergleiche zum Grand Prix in Kanada vor drei Wochen gezogen, als Vettel beim Verteidigen der Führung von der Strecke abgekommen war und Hamilton beim zurückkommen leicht in die Wand gedrängt hatte, woraufhin dieser abbremsen und sein Überholmanöver abbrechen musste. Daraufhin hatte man dem Ferrari eine 5-Sekunden-Strafe aufgebrummt und ihm damit den Sieg gekostet. Doch die Situationen sind komplett verschieden und haben eigentlich nur eines gemeinsam: Beide Male war der Wagen hinten schlicht schneller.
Hätten die Stewards Verstappen gestern seinen Sieg abgesprochen, weil er für den ersten Platz gekämpft hat, hätte ich das Vertrauen in einen Sport verloren, den ich seit über 20 Jahren liebe. Schlimm genug, dass seit Einführung des Video-Schiris in der Bundesliga NOCH MEHR rumgemeckert wird als vorher – es muss ja wohl noch erlaubt sein, im Rennsport ZWEIKÄMPFE um die Führung auszutragen, ohne dass sich hinterher alle schlecht behandelt fühlen. Ja, ich kann verstehen, dass Charles Leclerc angefressen ist, dass er 69 Runden lang bequem geführt hat und ihm dann jemand zwei Runden vor Schluss einen Strich durch die Rechnung macht. Das ist bestimmt ärgerlich. Aber wenn er mal ein paar Nächte darüber geschlafen hat, wird er zu dem Schluss kommen, dass während eines Führungskampfes eine Wagenbreite Abstand zwischen den Autos zu erwarten, ziemlich absurd ist.
Zumindest möchte man das gerne hoffen, denn wenn das gestrige Rennen irgendetwas gezeigt hat, dann, dass die neue Generation junger Fahrer zielstrebig nachrückt, sich die alteingesessenen Fahrer wie Bottas, Vettel und Hamilton warm anziehen müssen und wir diesen Zweikampf garantiert nicht zum letzten Mal gesehen haben. ZUM GLÜCK! Und übrigens: Wenn sich einer besonders doll über echtes, hartes Racing gefreut hätte, dann die kürzlich verstorbene Rennlegende Niki Lauda. Der wurde am Wochenende bei seinem Heim-Grand-Prix mit zahlreichen Tributen und der Benennung einer Kurve nach ihm geehrt.
