Im Internet ist niemand sicher. Vor allem auf Plattformen wie Facebook, Instagram und Twitter kann jeder zur Zielscheibe von Hatern, Trollen oder gleich einem ganzen Shitstorm werden: sowohl A-Promis als auch Otto Normalos, Influencer und sonstige Personen des öffentlichen Lebens. Doch eine Sorte Mensch scheint ganz besonders angreifbar zu sein: Frauen, die in der Politik und im Journalismus arbeiten. Das ist nicht nur ein Gefühl der weiblichen Bevölkerung, sondern nun auch Fakt.
Für eine aktuelle Studie von Amnesty International haben 6500 Freiwillige aus 150 Ländern die sogenannte "Troll Patrol" gebildet. Sie haben sich durch 228.000 Tweets an 778 Politikerinnen und Journalistinnen aus dem Vereinigten Königreich und den USA gearbeitet. Dies dauerte 2500 Stunden und ist damit die größte Studie zum Thema Online-Beschimpfung gegen Frauen, die es je gegeben hat. Insgesamt wurden 1,1 Millionen beleidigende oder problematische Tweets im Jahr 2017 allein an diese 778 Frauen adressiert. Das macht im Durchschnitt einen alle 30 Sekunden.
"Twitter ist voll von Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Homophobie"
"Diese Ergebnisse bestätigen, was Frauen schon lange bemängelt haben: Twitter ist voll von Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Homophobie", sagt Kate Allen, die Direktorin von Amnesty International UK. Die Analyse der 778 Accounts der Politikerinnen und Journalistinnen ergab außerdem, dass besonders schwarze Frauen ins Visier der Online-Hater geraten. Sie werden 84 Prozent häufiger in beleidigenden Tweets erwähnt als weiße Frauen.
7,1 Prozent aller Tweets, die an Frauen aus der Studie gerichtet waren, sind problematisch oder beleidigend. Zur Erinnerung: Das waren 1,1 Millionen Tweets. Dabei spielt es laut der Studie keine Rolle, welcher Partei oder welchem Medium die Frauen angehören: Liberale, Konservative, Linke wie Rechte. Der virtuelle Hass zieht sich durch die komplette politische Landschaft. Die untersuchten Journalistinnen kamen von US- und UK-Publikationen wie der "Daily Mail", der "New York Times", des "Guardian", der "Sun", "gal-dem" (ein britisches Magazin von Women und Non-Binary People of Colour), "Pink News" (ein britisches Online-Magazin für die lesbische, schwule, bisexuelle und transsexuelle Community) und der amerikanischen, rechtspopulistischen Nachrichtenseite "Breitbart".
Nach der Studie wird nun mehr Transparenz gefordert
"Wenn Twitter dieses Problem nicht beseitigt, trägt es dazu bei, dass bereits marginalisierte Stimmen zum Schweigen gebracht werden", sagt Milena Marin, leitende Beraterin für taktische Forschung bei Amnesty International. "Bei 'Troll Patrol' geht es nicht darum, Twitter zu überwachen oder zu zwingen, Inhalte zu löschen. [...] Entscheidend ist, dass Twitter transparent macht, wie die Algorithmen funktionieren, die Missbrauch und Beleidigungen erkennen sollen." Laut den eigenen Regeln des sozialen Netzwerkes verstoßen Tweets, die Menschen aufgrund ihrer Rasse, ethnischen Herkunft, Nationalität, sexuellen Orientierung, ihres Geschlecht oder ihrer Geschlechtsidentität, Religionszugehörigkeit, ihres Alters, einer Behinderung oder schwerer Krankheit fördern oder bedrohen.
Amnesty International teilte die Ergebnisse Twitter mit. Die wollten wissen, wie "problematische" Tweets in der Studie definiert wurden und betonten, dass es notwendig sei "die freie Meinungsäußerung zu schützen und sicherzustellen, dass die Richtlinien klar und knapp formuliert sind".
"Frauen müssen sich sicher fühlen"
Kate Allen fasst die erschreckenden Ergebnisse sehr gut zusammen: "Die Online-Welt ist eine wichtige Plattform für politische und öffentliche Konversation, und Frauen müssen sich sicher fühlen können, um sich auszudrücken, ohne Angst vor Missbrauch und Beleidigung."
Wer sich im Internet umschaut, merkt schnell, dass wir noch lange nicht an diesem Punkt sind. Solange Frauen als hässlich betitelt werden, nur weil sie sich zu unbequemen Themen äußern oder Feministinnen gesagt wird, dass sie bestimmt einfach zu lange keinen Sex mehr mit einem Mann hatten – solange kann von Emanzipation im Netz keine Rede sein.