Wer selbst tätowiert ist, kennt das: Manche der eigenen Tattoos waren Ideen, die man schon vor Jahren hatte, manche sind sehr persönlich, manche einfach nur Körperschmuck ohne Bedeutung – und manche sind spontan aus einer Laune raus entstanden. Doch egal, ob lange geplant oder plötzliche Eingebung: Ich liebe alle meine Tattoos. Umso weniger kann ich den Vorschlag von Politikerin Gitta Connemann verstehen.
Die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU will vor allem junge Menschen jetzt offenbar vor übereilten Tätowier-Besuchen schützen. Und zwar mit einem Verbot für spontane Tattoos. Sie schlägt Pflichtberatungen mit Bedenkzeit bis zum eigentlichen Stechen vor. "Erst beraten, dann warten, dann tätowieren – wenn es überhaupt noch dazu kommt", sagt die CDU-Politikerin gegenüber dem "Tagesspiegel". Tattoos, die unter Alkoholeinfluss oder Gruppenzwang zustande kommen, sollen so verhindert werden.
"Da war ich besoffen"-Tattoos gibt es nur im Fernsehen – oder auf Malle
In einem Tattoostudio scheint Gitta Connemann selbst noch nie gewesen zu sein. Seriöse Tätowierer tätowieren nicht ohne vorherige Beratung – und vor allem keine betrunkenen Menschen. Wer hat schon Lust auf lallende Kunden, die sich im besten Fall beim Stechen noch übergeben müssen?! Klar, schwarze Schafe gibt es überall, aber die meisten dieser "Da war ich besoffen"-Tattoos gibt es nur im Fernsehen – oder auf Malle (obwohl sich das nicht ausschließt). Und wer Freunde hat, die einen dazu zwingen, sich tätowieren zu lassen, hat wohl eher ein ganz anderes Problem.
Menschen, die sich tätowieren lassen, sind in der Regel volljährig – und das ist gut so. Ja, mit 15 kann man nicht unbedingt abschätzen, ob die süßen Schmetterlinge auf dem Steiß wirklich eine so gute Idee sind. Dass man dafür mindestens 18 sein muss, ergibt vollkommen Sinn. Aber Erwachsene muss man doch wirklich nicht in allen Lebenslagen vor ihrer eigenen Dummheit schützen. Wer sich von einem Tätowierer stechen lässt, ohne vorher abzuchecken, ob der es überhaupt drauf hat und im Studio ordentlich gearbeitet wird, ist dann vielleicht einfach selbst schuld. Es gibt Google, es gibt Instagram, es gibt Facebook. Überall kann man sich über Erfahrungen anderer Kunden informieren und die Werke des Künstlers begutachten. Menschen, die sich heutzutage noch blind von einem dahergelaufenen Dorf-Tätowierer stechen lassen und dann vom Ergebnis enttäuscht sind, hilft auch keine Wartezeit. (Mal ganz abgesehen von denen, die sich von einem "Freund" tätowieren lassen, der sich bei Ebay eine Maschine ersteigert hat.)
Wartezeiten gibt es sowieso schon
Und aropos Wartezeit: Die gibt es in den meisten Fällen sowieso. Wer sich einen guten Tattoo-Künstler aussucht, muss oft lange auf einen Termin warten, denn viele haben durch den Kundenandrang Wartezeiten von mehreren Monaten. Nur weil eine Politikerin meint, Tattoos seien böse (man lese den Rest des "Tagesspiegel"-Textes) und junge Menschen zu kurzsichtig für lebenslange Entscheidungen wie Tattoos (wobei man die sich mittlerweile sogar gut weglasern lassen könnte), müssen nicht alle anderen, vernünftigen Menschen, die auch mal Lust auf ein spontanes Tattoo haben, bestraft werden.
Klar, sind Kontrollen in Tattoostudios wichtig. Und dass sich jeder Hans und Franz im Netz eine Maschine kaufen und ein Gewerbe als Tätowierer anmelden kann, ist auch nicht gerade super. Aber ein bisschen gesunden Menschenverstand sollte man bei Tattoo-Fans schon voraussetzen können und dürfen. Liebe Frau Connemann, wir sind nicht dumm.
