Gegen 14 Uhr beginnt sich der Platz hinter dem Absperrzaun langsam zu füllen. Immer mehr Menschen drängen sich vor das Hamburger Rathaus. Viele sind aus einem bestimmten Grund hier: Sie warten auf den Dalai Lama. Andere hingegen fragen verwundert: "Was ist den hier los?" - "Gibt es irgendetwas Besonderes zu sehen?". Wenn sie dann die Antwort auf ihre Frage bekommen, sind viele erstaunt: "Ach, der Dalai Lama kommt!" Doch nicht jeden hält diese Information am Platz.
Die Kamera immer knipsbereit
Ein Ehepaar, das gerade aus dem Rathaus kommt, positioniert sich hinter der Absperrung. Beide sehen verärgert aus. "Das sind doch Deppen, die Deutschen", sagt der Mann erbost. Eigentlich wollte er sich mit seiner Frau das Rathaus anschauen. Eine Führung konnten sie zwar machen, wurden dann aber hinaus geworfen - wegen des hohen Besuchs aus Indien. Und dabei hätten sie doch extra noch gefragt, ob eine Besichtigung überhaupt möglich wäre, weil doch der Dalai Lama komme, um sich in das Goldene Buch der Stadt einzutragen. "Kein Problem", wurde ihnen gesagt.
Nun stehen sie vor dem Rathaus, hinter einer Absperrung und müssen das Gebäude von außen betrachten. Der Mann erklärt gelangweilt, dass ihn der Dalai Lama nicht interessiere. Er sei Katholik. Aber seine Frau wolle ihn sehen. Ihre Kamera hält sie auch schon knipsbereit in der Hand. Fotos für das Familienalbum müssen eben sein.
Der spirituelle Pfad
Unter den Wartenden sind Senioren, junge Paare, Mütter mit ihren Kindern, Jugendliche und Touristen. Auch einige Gläubige sind da. So wie Yvonne, die extra aus den Niederlanden angereist ist. Sie ist seit sieben Jahren praktizierende Buddhistin. Ein Besuch in einem Kloster in Nepal hat sie dazu inspiriert, sich intensiver mit der Lehre auseinanderzusetzen, sich auf den "spirituellen Pfad" zu begeben. Den Dalai Lama hat sie schon gesehen. Einmal in Holland, einmal in Paris und jetzt eben in Hamburg. Sie sei vor allem von der buddhistischen Art zu leben fasziniert, von der Gewaltlosigkeit, der Toleranz, dem Mitgefühl. "Vibrations", mit diesem Wort versucht sie das Gefühl, dem Dalai Lama so nah zu sein, zu beschreiben und erklärt weiter "Wenn dein Herz offen ist, dann fühlst du es."
Vier Tage lang bleibt die Niederländerin in Hamburg. Vorträge des Dalai Lama wird sie in dieser Zeit natürlich auch besuchen. Damit gehört sie allerdings zu den Wenigen, die sich den Luxus leisten. Mit 55 Euro sind die Tageskarten für die Vorträge nämlich nicht billig. Viele der Wartenden haben darauf verzichtet, sich die teuren Eintrittskarten zu kaufen und sind lieber zum Rathaus gekommen, um das Oberhaupt der Tibeter zu sehen.
Ein kurzer Blick
Pünktlich 15 Uhr erscheint der Dalai Lama. Es ist bisschen wie bei der Ankunft eines Superstars. Die Leute werden unruhig als die Limousinen, Polizeiwagen und Kleinbusse vorfahren und sich wie eine Mauer zwischen den Wartenden und dem Rathaus aufbauen. Ein kurzes Raunen geht durch die Menge, dann beginnen die Menschen zu klatschen.
Doch der Ordensmann hat es nicht eilig; er nimmt sich Zeit. Dicht gefolgt von seinen Bodyguards wendet er sich den Menschen zu und verbeugt sich. Er lässt sich fotografieren, redet mit Journalisten, winkt den Fotografen auf dem Balkon über ihm. Dann verschwindet er im Rathaus.
Autogramme geben wie ein Superstar
Eine Stunde später ist alles schon wieder vorbei und der Dalai Lama verlässt das Hamburger Rathaus. Doch statt sich in seine Limousine zu flüchten, läuft der kleine Mann zielstrebig zu den Menschen, die hinter der Absperrung warten. Sie strecken ihm Blätter und Stifte entgegen, brav unterschreibt er. Zwei Jugendliche, die sich wohl einen der besten Plätze auf einem Laternenpfahl gesichert haben, jubeln.
Lange dauert die Autogrammstunde nicht. Auf dem Weg zu seinem Wagen dreht er sich noch einmal um, lächelt und winkt. Dann ist weg. Was bleibt, ist das Gefühl, dass man gerade einen Mann gesehen hat, der Menschen mit seiner charismatische Ausstrahlung, seiner Offenheit und seiner Energie begeistert. Die Menschen haben ihn beklatscht, ihm gewunken, bejubelt. Der Dalai Lama wurde standesgemäß gefeiert: mit Ruhe und Gelassenheit.