Der Absturz einer taiwanischen Passagiermaschine auf dem Weg nach Hongkong hat wahrscheinlich allen 225 Menschen an Bord das Leben gekostet. Am Sonntag, einen Tag nach dem Unglück, gab es kaum noch Hoffnung auf Überlebende. Bis zu drei Meter hohe Wellen behinderten die Rettungsarbeiten an der Absturzstelle nördlich der taiwanischen Inselkette Penghu. Die Boeing 747-200 der China Airlines stürzte rund 20 Minuten nach dem Start in Taipeh ins Meer. Möglicherweise gab es eine Explosion an Bord.
Der stellvertretende taiwanische Verkehrsminister Tsai Duei sagte Reportern, das Flugzeug sei offenbar in der Luft auseinander gebrochen. Später erklärte er allerdings, die Absturzursache sei noch völlig ungeklärt.
Unglück »rätselhaft«
ie Boeing 747 war am Samstag um 14.40 Uhr (Ortszeit) bei gutem Wetter von Taipeh nach Hongkong gestartet. Wenig später verschwand sie bei der Inselgruppe Penghu von den Radarschirmen. Die Maschine befand sich vor dem Absturz in einer Höhe von 10.600 Metern. Es wurde kein Notruf empfangen. Der Präsident von China Airlines, James L.S. Chang, bezeichnete das Unglück als rätselhaft. Die große Frage sei, warum der Pilot keine Zeit gehabt habe, ein Notsignal abzusetzen.
An Bord des Fluges CI611 waren 190 Passagiere aus Taiwan, 14 aus Macau und Hongkong, einer aus Singapur und einer aus der Schweiz. Bis Sonntagnachmittag wurden 35 Leichen aus dem Meer geborgen. Mehr als 400 Rettungskräfte, 22 Boote der Küstenwache und zwei Hubschrauber waren im Einsatz.
Um die Absturzstelle bildete sich ein Ölteppich von der Größe eines Fußballfelds. Wie der stellvertretende Leiter der Küstenwache in Penghu, Chang Cheh Chin, sagte, wurden keine größeren Wrackteile entdeckt. Nur kleinere Teile wie Sitze trieben an der Meeresoberfläche.
Anwohner an der Westküste Taiwans fanden Gegenstände, die aus dem Flugzeug stammten, darunter zerfetzte Bordmagazine, Einwanderungsformulare und Gepäckanhänger. Dies wurde als Hinweis darauf gewertet, dass die Maschine explodiert sein könnte. Die China Airlines teilten mit, die Boeing 747 sei 22 Jahre alt gewesen und im vergangenen Jahr völlig überholt worden. Das Flugzeug sollte ab Juni für die Fluglinie Orient Thai Airways starten. Die Unglücksmaschine sei die letzte dieses Alters in der Flotte von China Airlines gewesen, sagte der Sprecher der Fluggesellschaft.
Fluggesellschaft mit besonders hohem Gefährdungsgrad
Nach einer Unfallserie in den 90er Jahren galten die China Airlines als Fluggesellschaft mit besonders hohem Gefährdungsgrad. Eine Umstrukturierung in den vergangenen Jahren, in der viel Gewicht auf Sicherheit gelegt wurde, hat den Ruf des Unternehmens wieder verbessert. 1999 kamen bei einer Bruchlandung eines China-Airlines-Flugzeugs in Hongkong drei Menschen ums Leben. Die Fluggesellschaft veröffentlichte am Sonntag in mehreren taiwanischen Tageszeitungen halbseitige Anzeigen, in denen sie den Angehörigen der Absturzopfer ihr Beileid bekundete.
China gestattete der taiwanischen Küstenwache, auch in chinesischem Hoheitsgebiet nach den Opfern des Absturzes zu suchen. »Unsere Rettungsbemühungen werden nicht von politischen Überlegungen beeinflusst«, sagte der taiwanische Regierungschef Yu Shyi Kun. China betrachtet Taiwan, das sich 1949 während des Bürgerkriegs abspaltete, als abtrünnige Provinz.
Stichwort: China Airlines
China Airlines (CAL) ist die größte internationale Fluggesellschaft Taiwans. Sie wurde am 16. Dezember 1959 gegründet. Ihre Maschinen fliegen 51 Städte in 22 Ländern an. Der erste Flug nach Europa führte 1983 von der Hauptstadt Taipeh nach Amsterdam. Der erste deutsche Flughafen, der von CAL angeflogen wurde, war 1993 Frankfurt/Main. Weitere internationale Ziele der Fluggesellschaft sind wichtige Städte in Asien, Nordamerika mit Hawaii sowie Ozeanien.
Die Flotte von China Airlines verfügt über insgesamt 56 Flugzeuge der Marken Boeing, McDonnell Douglas und Airbus. Von den 34 Boeings ist nur eine vom Typ 747-200.
Das Unglück vom Samstag, bei dem die Boeing 747-200 mit 225 Menschen an Bord ins Meer stürzte, ist die Fortsetzung einer tragischen Unfallserie bei CAL. Seit Ende der 80er Jahre verzeichnete die Fluggesellschaft fünf spektakuläre Unfälle, bei denen insgesamt mindestens 500 Menschen starben. Zu den folgenschwersten zählen die Katastrophen von 1994 und 1998.
Am 26. April 1994 war ein Airbus vom Typ A300-600 beim Landeanflug im japanischen Flughafen von Nagoya zerschellt, wobei 264 Menschen starben. Am 16. Februar 1998 starben bei einer verunglückten Landung eines Airbusses des gleichen Typs auf dem Flughafen von Taipeh 203 Menschen.
Hintergrund: Straße von Taiwan
Die Straße von Taiwan trennt die kommunistische Volksrepublik China von der demokratischen Inselrepublik Taiwan. Sie ist kaum tiefer als 50 Meter und an ihrer engsten Stelle nur 123 Kilometer breit. Die Meeresenge ist auch unter dem Namen »Straße von Formosa« bekannt - nach dem alten portugiesischen Namen für Taiwan. Aus dieser Zeit stammt auch der Name für die kleine Inselgruppe der Pescadores (Penghu) nahe der Küste Taiwans.
Der Meeresarm ist seit mehr als einem halben Jahrhundert immer wieder Schauplatz von Krisen: 1949 floh Chiang Kai-shek, Präsident Nationalchinas, mit 600 000 Soldaten und vielen Beamten vor den kommunistischen Truppen Mao Tsetungs nach Taiwan. Die Insel wurde zur Republik China, doch wandten sich die meisten Staaten von Taiwan ab, als sie diplomatische Beziehungen mit der Volksrepublik aufnahmen.
Peking will die Wiedervereinigung mit Taiwan nach dem Hongkonger Autonomie-Modell, droht aber mit einem Militäreinsatz, falls sich die Insel formell unabhängig erklären sollte. Um dieser Drohung auch Gewicht zu verleihen, hat Chinas Volksbefreiungsarmee in der Meeresenge regelmäßig umfangreiche Militärmanöver oder sogar auch Raketentests unternommen, die für Spannungen in der Meeresenge führen.